/Zum Tod von Wiglaf Droste: Ein sensibles Raubein

Zum Tod von Wiglaf Droste: Ein sensibles Raubein

Der Titel seines ersten Buches
blieb zeitlebens Wiglaf Drostes ästhetisches Programm: Kommunikaze hieß der
1989 veröffentlichte und immer wieder nachgedruckte Band, der Glossen, Rezensionen,
allerlei Beleidungsarien und Gedichte enthielt und tatsächlich eine Mischung
aus poetischer Kommunikation und journalistischer Kamikaze war. Rainald Goetz
nannte er darin einen “wohlfeilen Darsteller der Kompostmoderne”, Droste
verulkte Herbert Grönemeyer und setzte neue Maßstäbe im komischen Kurzgedicht. Werkkreis Literatur der Arbeitsweil hieß beispielsweise eines mit nur zwei
Zeilen: “Ich stand / Am Band.”

Geboren am 27. Juni 1961 in
Herford, aufgewachsen und zur Schule gegangen in Westfalen, zog Wiglaf Droste
1983 nach Berlin, um dort zunächst Publizistik und Kommunikationswissenschaften
zu studieren. Aber er merkte schnell, dass er für seine radikale Form des
Schreibens und Vortragens die Wissenschaft nicht brauchte, dass akademische
Gepflogenheiten diametral seinem Stil und Tonfall entgegenstanden. Nach einigen
Aushilfsjobs fand er dann in der taz
und im Berliner Stadtmagazin tip auch
ohne Studium eine publizistische Heimat, wobei er das selbst nie so formuliert
hätte. “Heimat ist etwas für Doofe”, pflegte er zu sagen, um dann breit zu
grinsen. Oder einen eigenen Vierzeiler hinterherzuschieben: “Schön ist die
Heimat / So man sie hat / Schön auch der Hering / Besonders der Brat-”

In den Neunzigerjahren, als beispielsweise die Monatszeitschrift konkret in Hamburg einen bundesweit beachteten Kongress unter das
Motto “Links ist da, wo keine Heimat ist” stellte, gehörte Wiglaf Droste schon
bald zu den, wie es wohl heute heißt, meinungsstärksten Journalisten der
Republik. Im Grunde erfand er eine neue Textform, nämlich die der satirischen
Polemik beziehungsweise polemischen Satire. Etiketten interessierten ihn aber ohnehin
nicht. Und wer immer ihn auf eine Meinung oder gar politische Position
festlegen wollte, wurde überrascht. Er legte sich mit so gut wie allen Leuten
aus dem Feuilleton an, mit berühmten Schriftstellern und fast so berühmten
Literaturkritikern, er pöbelte gegen Esoterik und Geschwurbel im
linksalternativen Milieu genauso wie gegen neue und alte Nazis.   

Seine Kritik ist noch aktuell

Seine Texte, die er bald auch
für den Rundfunk einlas, hatten immer etwas von Nahkampf. Mit Wortwitz und
beißender Pointe beschrieb er Eitelkeiten und Verlogenheiten im kulturellen und
politischen Betrieb. Drastik war ihm zuweilen lieber als feinsinnige Dialektik.
Sein Motto: Warum sachlich, wenn es auch persönlich und polemisch geht. Wer
Drostes Glossen heute liest, stellt erstaunt fest, dass sich zwar der politische
Resonanzraum verändert hat, die politische Kritik aber durchaus noch aktuell
ist. Manchmal lag er auch vollkommen daneben – vor allem wenn er sich in
Literaturkritik versuchte. Dann wieder hat man bei der Lektüre seiner Polemiken das
Gefühl, in einer medialen Endlosschleife gefangen zu sein. Unter der
Überschrift Mit Nazis reden? schrieb er 1994: “Alle Welt sucht das Gespräch
mit Rechtsradikalen. Warum? Haben sie einem etwas zu sagen? Ist nicht
hinlänglich bekannt, was sie denken, fordern und propagieren? (…) Muss man an
jeder Mülltonne schnuppern?” 

Wiglaf Droste war ein analoger
Autor. Von Facebook oder anderen, wie er meinte, asozialen
Selbstdarstellungsmedien hielt er sich fern. Die Bühne aber liebte er. Sein Benno-Ohnesorg-Theater an der Berliner Volksbühne, das er viele Jahre lang mit
befreundeten Schriftstellern, Journalisten und Musikern bestritt, gehörte im
intellektuellen Nachwende-Berlin zum Pflichtprogramm. Droste war im wahrsten
Sinne des Wortes eine Rampensau. Wer jemals mit ihm gemeinsam vor Publikum
auftrat, fühlte sich wie ein Bühnenwurm. So barock-brachial sein Präsenz am
Mikrofon, so berserkerhaft war sein Schreibpensum. Beinahe täglich verfasste er
eine Zeit lang Beiträge für Presse und Rundfunk, die dann in zahlreichen
Sammelbänden erschienen. Sieger sehen anders aus, Am Arsch die Räuber, Bombardiert Belgien!, Begrabt mein Hirn an der Biegung des Flusses, oder Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi hießen die Bücher,
die übrigens grundsätzlich ohne Genrebezeichnung zunächst in der Hamburger
Edition Nautilus, später dann vor allem in der Berliner Edition Tiamat
erschienen.  

Mit seinen Büchern ging er
jahrzehntelang auf Dauerlesereise, mal mit musikalischer Begleitung und mal
ohne. Gesungen hat er aber mit großer Lust, selbst wenn seine Stimme
indisponiert war. Im Laufe der Zeit änderten sich Drostes Themen: Vielleicht
auch weil sich in der Politik so viel zu wiederholen schien, veröffentlichte er
zunehmend Beiträge übers Kochen, verfasste barock-romantische Lobpreisen auf
das weibliche Geschlecht. Er gab mit seinem Freund und Stuttgarter Sternekoch
Vincent Klink die kulinarische Kampfschrift Häuptling Eigener Herd heraus, in
der es auf mal kritische, dann aber wieder humoristische Weise ums Essen und
Trinken ging. Die von Nikolaus Heidelbach illustrierten Bücher über Wurst und Wein wurden zu Bestsellern. Auch im werbeverseuchten und von der
Lebensmittelindustrie manipulierten Gebiet der lukullischen Genüsse fand Droste
immer klare und deutliche Worte.

Mit dem Tod von Wiglaf Droste
wird auch ein Teil der bundesdeutschen Publizistik beerdigt, die es in
ähnlicher Form kaum noch gibt. Gegen die Artikel von Droste sind die meisten aktuellen
Kommentare in gedruckter und gesprochener Form so schrecklich bieder, dass man
heulen könnte. Nicht wenige seiner Glossen, würden man sie heute posten, hätten
schlimmste Shitstorms zur Folge, endlose Hasstiraden von rechts und links, aber
auch von der bräsigen Mitte der Gesellschaft, die nicht von scharfen Formulierungen
aufgeschreckt werden möchte. Mit dem deutschen Fernsehkabarett hatte Droste
übrigens nie etwas zu tun, und doch haben Oliver Welke oder Jan Böhmermann viel
von Droste gelernt. Politische Satire muss an die Grenze gehen, sie sogar ganz
bewusst und möglichst kunstfertig übertreten.

Wiglaf Droste, das sensible Raubein, hat es im Laufe
seines viel zu kurzen und gleichzeitig so intensiven Lebens geschafft, es sich
mit fast allen zu verscherzen, die ihn mochten, die Zeit mit ihm geteilt haben,
die seine Arbeit gefördert, seine Texte gedruckt und seine Glossen fürs Radio
in Auftrag gegeben haben. Er wurde 57 Jahre alt. Unmöglich
aber scheint es, einen halbwegs angemessenen Nachruf auf Wiglaf Droste zu
schreiben, der den Tod und die Leute verspottete, die große Reden auf den Nachruhm halten. 

So sei ein kleines Poem mit dem Titel Für immer und immer zitiert, das
Drostes Haltung zum oft so skurrilen Leben ganz gut beschreibt: “In des Daseins
/ stillen Glanz / Platzt der Mensch / Mit Ententanz.”

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