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The National: Zum Laternen umarmen

The National sind
leicht zu finden und offenbar auch leicht zu haben. Nach den einmal mehr
ausgiebigen Konzerten, die 2017 und 2018 rund um ihr siebtes Album Sleep
Well Beast
stattfanden, wollte die ursprünglich aus Cincinnati in Ohio
stammende Rockband eigentlich etwas ganz Neues ausprobieren und einmal gar
nichts unternehmen. Erstmals in ihrer Karriere sollten alle gemeinsamen Aktivitäten
ruhen, während andere Projekte im Fokus stehen: Fernsehserien, klassische
Musik, Studiojobs sowie sonstige Dinge, für die man keine E-Gitarren oder
Reisebusse braucht. Eine E-Mail später war der schöne Plan allerdings schon
wieder zerschlagen.

Als sich der
Regisseur Mike Mills im Winter 2017 an The National wandte, hatte die Band plötzlich
ihr nächstes Großprojekt vor der Brust. Hand in Hand mit den Musikern wollte
Mills eine vage Film- und Albumidee zu Ende entwickeln, bei der beide Parteien
in die Arbeit des jeweils anderen hineinpfuschen dürfen. Kein Soundtrack zu
einem neuen Spielfilm und auch kein Begleitfilm zu einer neuen Platte, sondern
all das gleichzeitig und möglicherweise noch mehr. Einige Monate und Sessions
später erscheint I Am Easy to Find nun gleich zweimal: als kurzer Film
und langes Album, die einander ergänzen, aber nicht zum Überleben brauchen.

Einen Plattentitel
wie I Am Easy to Find hätte man bei The National früher wörtlich nehmen
können. Als zugezogener Überzeugungs-New-Yorker gibt der Sänger und Dichter
Matt Berninger
seit nunmehr 20 Jahren eine Kunstfigur zwischen Nachteule, Großstadtmelancholiker
und sitzen gelassenem Tresenseelchen. Seine Geschichten aus Seitenstraßen, Bars
und spärlich beleuchteten Apartments legen sich wie ein Koordinatensystem über
Manhattan. Zu finden ist Berninger immer dort, wo es noch einen Drink oder die
Aussicht auf eine aussichtslose Schlägerei gibt. Seine Texte sind nicht gerade
Bukowski, aber genau das Richtige für Leute, die auf dem nächtlichen
Nachhauseweg gern Laternen ansingen oder umarmen. 

Oder, um es
popbedeutsam zu sagen: The National sind eines der letzten Lebensgefühle, die
es noch gibt in der Rockmusik. Berninger ist längst zu alt für den Scheiß, aber
weiterhin mit heiligem Ernst verliebt in sein Jungsding. Ein selbstironischer
Leidenstexter, der nie selbstmitleidig klingt, weil er die Fähigkeit besitzt,
sich mit den eigenen Dämonen zu verbrüdern. Was diese Dämonen ihm einflüstern,
ist im Prinzip in jedem Song dasselbe Gefühl, dieselbe triumphale
Niedergeschlagenheit. Man kann am Boden liegen und sich trotzdem für den Größten
halten.

Berninger hat den
richtigen Bariton für diese Geschichten und die richtigen Musiker an seiner
Seite. Zwar sind die Zwillinge Aaron
und Bryce Dessner inzwischen auch als Komponisten moderner Klassik und Kuratoren
moderner Festivals von Berlin bis Wisconsin gefragt. Ihre offensichtliche Überqualifizierung
als maßgebliche Songwriter, Produzenten und Multiinstrumentalisten von The
National richtet sich jedoch niemals gegen die eigene Rockmusik. Elegant arrangieren
sie ihre Lieder mit Bläsern, Streichern und Sounds, die aus dem Laptop kommen,
ohne sie zu sehr aufzutakeln. Jedes einzelne wäre als Coverversion von
Radiohead denkbar, aber kein einziges als Coverversion von Coldplay.

Nach schleppendem
Karrierestart – im feierwütigen New York gingen
die ersten beiden Platten von The National als prätentiöse Partybremsen unter –
hat sich diese Herangehensweise im Lauf der Alben und Jahre als tragfähiges
Geschäftsmodell erwiesen. Auf Festivalflyern steht die Band heute spätestens
in der zweiten Reihe, in den meisten Städten bekommt sie mindestens die zweitgrößte
Halle voll. Als Lebensgefühl funktionieren The National in Zeiten der
apokalyptischen Verblödung sogar besser denn je: Obwohl sich Berningers Texte
nur marginal verändert haben, gilt der stolze Loser von einst heute als Stimme
der amerikanischen Restvernunft.

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