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Crispr: Politik von gestern

Dass Bundestagsabgeordnete öffentlich auf Peter Dabrock, den Vorsitzenden
des Deutschen Ethikrats, einschimpfen, ist ein eher seltenes Schauspiel. Zu beobachten war
dies am vergangenen Donnerstag in Berlin. Da hatte der Ethikrat seine Stellungnahme zu einem
Thema abgeliefert, bei dem sich in Deutschland bislang alle einig wähnten: Eingriffe in die
menschliche Keimbahn – also Veränderungen der Gene, die sich in die folgenden Generationen
vererben – sind und gehören verboten. Im November vergangenen Jahres hatte ein chinesischer
Forscher solche Experimente bekannt gegeben: Zwei Mädchen seien nach einen Eingriff mit der
Genschere Crispr geboren worden. Weltweite Empörung war die Folge.

Das Gutachten des Ethikrats überrascht deshalb. Zwar plädiert das Gremium, weil die Technik noch nicht ausgereift sei, weiterhin für ein global gültiges Moratorium, um gefährliche Versuche mit der Genschere am Menschen abzuwenden. Aber dann kommt es: Unantastbar für alle Zeiten sei die Keimbahn keineswegs. Auf über 200 Seiten räumen die obersten Ethiker noch weitere heilige Kühe der hiesigen Biopolitik ab. Eingriffe in Embryonen mit der Genschere? Bei schweren genetischen Krankheiten erlaubt oder sogar geboten, sagt die Mehrheit des Ethikrats – sobald die Technik sicher sei. Forschung an überzähligen Embryonen aus Fortpflanzungskliniken? Auch das ist für viele der Ratsmitglieder ethisch vertretbar. Eine Minderheit von ihnen denkt sogar daran, Embryonen allein für diesen Zweck erzeugen zu lassen. All dies ist in Deutschland verboten, von nun an wird man über eine Zulassung nachdenken müssen.

Normalerweise setzen Ethiker der Politik Schranken. In Berlin konnte man beobachten, wie sie die Politik vor sich hertreiben. “Die Menschheit kann an der Schwelle zu einer neuen Zeit stehen”, erklärte Dabrock, dafür brauche man nun eine solide ethische Basis. Seine Botschaft ans Parlament: Verbote allein taugen nicht länger als Politikersatz.

Diese Mitteilung war überfällig. Nicht nur im Umgang mit Keimbahn und Embryo beherrscht rückständiges Denken die Gesundheits- und Forschungspolitik in Deutschland. Die Erkenntnissprünge der biomedizinischen Wissenschaften werden ignoriert. Oder man scheut sich, sie im medizinischen Alltag für die Patienten zu nutzen. Dabei ist die genomische Medizin – der Einsatz molekulargenetischer Techniken für Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten – längst möglich.

Jeder zweite Mensch in Deutschland erkrankt irgendwann in seinem Leben an Krebs, jeder vierte stirbt an dem bösartigen Leiden. Viele Patienten werden gut und nicht ohne Erfolg behandelt – aber eben mit der Heilkunst des 20. Jahrhunderts, mit Chemo, Bestrahlung und Operation. Dabei könnte es die Medizin besser. Ärzte wissen heute, dass Patienten mit ein und derselben Krebsart oft nur die Abrechnungsziffer ihres Tumors gemeinsam haben. Die bösartigen Zellen jedoch unterscheiden sich grundlegend, auch wenn das unter dem Mikroskop nicht zu erkennen ist. Nur die genetische Decodierung der Krebszellen jedes Patienten gibt die entscheidenden Informationen: was den Tumor antreibt, was ihn sich ausbreiten lässt und welche Medikamente und Behandlungen ihn besiegen können.

Die deutsche Gesundheits- und Forschungspolitik zeigt bislang kaum Neigung, diese Erkenntnisse zum Wohl der Krebskranken einzusetzen. Bis auf einige Vorzeigeprojekte bleibt die sogenannte Tumor-Sequenzierung für die allermeisten Patienten hierzulande eine Utopie.

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