/Altbundeskanzler: Wem gehören Helmut Kohls Erinnerungen?

Altbundeskanzler: Wem gehören Helmut Kohls Erinnerungen?

Wenn nächsten Mittwoch in Saal 222 des Kölner Landgerichts die Sitzung zur
Zivilsache 28 O 11/18 eröffnet wird, dann wird darüber verhandelt werden, wer das
Geschichtsbild von Helmut Kohl kontrollieren darf. Außerdem geht es um den Wert von
Vertraulichkeit. Und für alle Beteiligten um viel Geld. Wieder einmal.

Die mündliche Verhandlung ist ein weiterer Höhepunkt in einer Serie von Gerichtsprozessen um
das Ansehen des Kanzlers der Einheit. Im Jahr 2014 veröffentlichten die beiden Journalisten
Heribert Schwan und Tilman Jens in einem zu Random House gehörenden Verlag ein Buch:
Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle.
Darin versprechen sie “Helmut Kohl unplugged”.
Sie bedienten sich dafür bei Interviews, die Schwan, der als Ghostwriter zum Schreiben von
Kohls Memoiren angestellt war, in langen Sitzungen aufgenommen hatte. Kohl hat dabei so offen
gesprochen, wie Politiker es selten tun. In dem Buch zitieren Schwan und Jens Helmut Kohl mit
Aussagen, wonach Angela Merkel “nicht mit Messer und Gabel” habe essen können, Friedrich Merz
ein “politisches Kleinkind” und Michail Gorbatschow “gescheitert” sei. Helmut Kohls Witwe
Maike Kohl-Richter sieht darin eine Persönlichkeitsverletzung, Schwan und Jens hätten Kohl
nicht zitieren dürfen. Nicht weniger als das Ansehen des früheren Bundeskanzlers stehe auf dem
Spiel.

Das Buch beschäftigt die Gerichte wie kaum ein anderes zuvor. Gleich mehrere Verfahren dazu
laufen oder liefen in Köln vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht sowie in Karlsruhe
vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Die
ZEIT
konnte Schriftsätze der Verfahren einsehen,
dabei fällt auf, wie emotional um die Deutungshoheit über die Worte von Helmut Kohl gekämpft
wird. Und welch hohes Risiko die Privatfrau Kohl-Richter gegen die zum Bertelsmann-Konzern
gehörende Verlagsgruppe Random House eingeht. Die Prozesskosten haben sich in allen noch
offenen Verfahren inzwischen auf einen hohen sechsstelligen Betrag summiert – zu bezahlen vom
Verlierer.

Und doch geht es um mehr. Letztendlich wird vor deutschen Gerichten auch darüber verhandelt,
was man sich in Zukunft von Helmut Kohl einmal erzählen wird. Dürfen Zitate wie jene über
Merkel, Merz und Gorbatschow verbreitet werden? Selbst wenn Kohl das nicht wollte?

Die
ZEIT
hat Maike Kohl-Richter mehrere Fragen zu dem Rechtsstreit geschickt, auf
die sie nicht geantwortet hat. Heribert Schwan wollte sich ebenfalls nicht äußern.

Dass es einmal so enden würde, konnte am 12. November 1999 keiner ahnen. Da unterschrieb
Schwan einen Vertrag als Ghostwriter für die Memoiren Kohls mit dem herausgebenden
Droemer-Verlag. Kohl unterschrieb ebenfalls einen Vertrag mit Droemer. In den Vereinbarungen
ist viel geregelt, das Honorar für Kohl (eine Million D-Mark Vorschuss) und Schwan (50.000
D-Mark Vorschuss), der Umfang (500 Schreibmaschinenseiten) und wie lange sie miteinander reden
sollten (200 Stunden). Die Verträge haben nur einen kleinen, aber – wie sich herausstellen
wird – entscheidenden Mangel. In Paragraf 4 steht: “Die Einzelheiten der Zusammenarbeit
zwischen Herrn Dr. Schwan und dem Autor werden diese direkt besprechen.” Eine
Vertraulichkeitsklausel, wie sie für solche Gespräche durchaus üblich ist, fehlt. Zunächst
störte das aber niemanden.

Zwischen 1999 und 2002 saßen Schwan und Kohl meist an den Wochenenden im Keller von Kohls
Bungalow im Ludwigshafener Ortsteil Oggersheim beisammen. Schwan, der zu jener Zeit leitender
Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk war, hatte stets ein Aufnahmegerät und ein Mikrofon
dabei, um die Gespräche aufzuzeichnen. Daraus entstanden zwischen 2004 und 2007 drei
Memoirenbände sowie ein Tagebuch Kohls. Der vierte Band war geplant.

Doch bevor die Arbeit daran abgeschlossen war, kam es zum Bruch zwischen dem Altkanzler und
seinem Lohnschreiber. Nach dem Suizid seiner Ehefrau Hannelore im Juli 2001 heiratete Helmut
Kohl im Jahr 2008 die Volkswirtin Maike Richter. Schon von 2003 an habe sie sich immer stärker
in die Arbeit an den Memoirentexten eingemischt, behauptet Schwan. Die Zusammenarbeit der
beiden Männer wurde beendet, als Kohl-Richter Änderungen am Begleitband einer
Fernsehdokumentation forderte, sie wollte die Rolle Helmut Kohls darin stärker zur Geltung
bringen. So schildert Schwan seine Version in dem Buch
Vermächtnis.

Maike Richter-Kohl legt ihre Sicht der Dinge in der Klageschrift dar, die gerade am
Landgericht Köln verhandelt wird. Schwan, so heißt es darin, habe nach einem schweren Unfall
von Kohl im Jahr 2008, bei dem dieser in seinem Haus gestürzt war, dessen Vertrauen verloren.
Er habe versucht, Kohl “in einer anderen Angelegenheit zu hintergehen”. In welcher
Angelegenheit, bleibt offen. Bald darauf wurde der Vertrag zwischen Schwan und Droemer auf
Bitte von Kohl aufgelöst.

Seitdem gibt es Streit. Schwan, sichtlich verletzt durch die Zurückweisung, prahlte 2012 in
einem Interview mit dem
Spiegel
in Bezug auf die Aufnahmen mit seinem “Schatz”, den
er “irgendwann heben” werde. Die Reaktion von Helmut Kohl kam schnell. 2012 klagte er auf
Herausgabe der Originaltonbänder. Das Verfahren ging bis zum BGH, der entschied, die Bänder
seien Kohl auszuhändigen. Erst später fiel Kohl und seinen Anwälten ein, dass Schwan ja
möglicherweise noch Kopien haben könnte. Also wurde wieder ein Gericht angerufen.

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