/Verena Bahlsen: Angenehm offenherzig, manchmal verstörend

Verena Bahlsen: Angenehm offenherzig, manchmal verstörend

Verena Bahlsen hat sich als Kapitalistin gepriesen, und sie hat
Zwangsarbeit verharmlost, über Ersteres sollte man diskutieren, Letzteres scharf verurteilen.
Aus beidem aber kann man etwas lernen: nämlich dass die Schwächen eines Menschen oft ziemlich
eng mit seinen Stärken zusammenhängen. Der geduldige Zuhörer kann ein schrecklicher Langweiler
sein und der begnadete Alleinunterhalter ein nerviger Selbstdarsteller, die
Technologie-Vordenkerin eine notorische Gefahrenunterschätzerin und der fleißige Kollege ein
familienfeindlicher Selbstausbeuter. Zwei Seiten einer Medaille.

Verena Bahlsen ist da ein gutes Beispiel: Die 26-Jährige sagt, was sie denkt, ohne lange zu überlegen. Oft wirkt das erfrischend offenherzig – und manchmal verstörend. Sie ist eine junge Erbin und Unternehmerin, die auf einen Schlag mehr mit der Öffentlichkeit teilt als der durchschnittliche Familienunternehmer in einem Leben. Dazu gehören nicht nur geschäftliche Strategien, sondern auch ihre Nöte und Bedenken, Wünsche und Begehren.

Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Verena Bahlsen nach eigenen Worten nachts oft schweißgebadet aufgewacht ist, weil sie nicht damit klarkam, als Unternehmerin andere Menschen zu führen? Dem im Zeitverlag erscheinenden Magazin
ZEIT für Unternehmer
hat sie jüngst in einem Interview davon erzählt. Genauso wie von ihrer großen Angst, ihren Vater zu enttäuschen, also Werner Michael Bahlsen, der den Kekshersteller Bahlsen in der dritter Generation über Jahrzehnte geführt hat. Sie hat auch über ihre Fehler gesprochen, etwa darüber, dass sie versucht habe, erwachsene Dinge zu tun, obwohl sie für manches noch zu unerfahren gewesen sei. So habe sie manchmal die falschen Leute eingestellt. Jeder Medienberater würde Unternehmern davon abraten, solche Dinge öffentlich auszubreiten; sie machen angreifbar und verwundbar.

Ihre Authentizität ist selten ist selten in Politik und Wirtschaft

Verena Bahlsen aber hat über all dies gesprochen, nachdem ihr Vater sich aus dem Interview bereits verabschiedet hatte, sie hatte keinen Berater dabei und keinen ihrer Mentoren, keinen vorbereiteten Redezettel und keine Pressemappe, kurzum: Sie war allein und ganz sie selbst. Vor dem Gespräch hatte sie keine Bedingungen gestellt. Nur die Frage, ob die Kosten einer Make-up-Artistin übernommen würden. Das geschah zwar nicht, ließ aber erkennen, dass ihr wohl nicht ganz egal ist, wie sie öffentlich wahrgenommen wird. Als ihr das Gespräch zur Freigabe vorgelegt wurde, wie es von Anfang an vereinbart war und bei Wortlaut-Interviews zumeist der Fall ist, hat sie an ihren Äußerungen kaum etwas verändert. Diese Authentizität ist selten in einer Welt, in der Pressesprecher über Zitate wachen und Konzernchefs Interviewtrainings durchlaufen, um für alle beteiligten Interessengruppen optimierte Statements in die Welt zu setzen. Dass sie all dies nicht macht, ist eine angenehme Ausnahme.

Ende vergangener Woche nun erschien Verena Bahlsen aber wie eine klischeehafte reiche Familienerbin, die mit Geld um sich wirft und der egal ist, dass dieses Geld von ihr geerbt und nicht erarbeitet wird. Erst hatte sie sich auf einer Hamburger Marketing-Konferenz als Kapitalistin geoutet und gesagt, sie freue sich, ein Viertel von Bahlsen zu besitzen und von der Dividende Segeljachten kaufen zu können. Und als sie dafür kritisiert wurde, dass sie ausblende, wie sehr Bahlsen im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern profitiert habe, da wurde es noch schlimmer: Verena Bahlsen erklärte der
Bild-Zeitung, dass das Unternehmen Bahlsen Zwangsarbeiter “genauso bezahlt” habe wie die deutschen Mitarbeiter und sie zudem “gut behandelt” habe. Das Unternehmen, so Verena Bahlsen, “hat sich nichts zuschulden kommen lassen”.

Das ist an sich schon Unsinn, denn wer im Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter beschäftigt hat, der hat sich damit etwas zuschulden kommen lassen. Es ist zudem nicht plausibel, dass der Kekshersteller die Zwangsarbeiter wie andere Arbeiter bezahlt habe. Der Historiker Ulrich Herbert von der Universität Freiburg hat zu den Ostarbeitern geforscht, die unter der Naziherrschaft Zwangsarbeit verrichten mussten. Gut dokumentiert ist, dass die Zwangsarbeiter bei Bahlsen Verpflegung für die Wehrmachtsoldaten produzierten. Die Arbeiterinnen hätten nicht draußen schuften müssen, insofern seien die Bedingungen immerhin verhältnismäßig gut gewesen, sagt der Historiker.

Allerdings habe der Staat per Gesetz sogenannte mindere Lohnsätze vorgegeben, sagt Herbert, Unternehmen durften Zwangsarbeitern lediglich ein Drittel bis die Hälfte des Lohns bezahlen, den deutsche Arbeiter erhielten. Ausgegeben wurde der Lohn oft als “Lagergeld”, mit dem die Arbeiter nur in firmeneigenen Läden einkaufen konnten. Dass Bahlsen nun entgegen der damaligen Vorschriften alle Arbeiter gleich entlohnte, bezweifelt der Geschichtsforscher. “Das durften die gar nicht.” Das Unternehmen ließ eine Anfrage der
ZEIT
dazu bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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