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Kopftuchdebatte: Freundinnen sein

Es fängt ja schon mit dem Wort an. “Kopftuchkonferenz”. Eine
Ethnologin, die an der Goethe-Universität Frankfurt am Main forscht, lud
ein, über das Kopftuch unter dem Motto “Symbol der Würde oder der
Unterdrückung” diskutieren zu wollen. Wie forscht man als Ethnologin eigentlich
am Kopftuch? Bei Ethnologen denkt man ja doch an Reiseschriftstellerinnen, die
ihre Männer in den Busch begleiten, die putzigen wilden Horden beglotzen und das
Stammesgebaren in Notizen festhalten. Die moderne Variante der Ethnologie ist
einem sowieso nie ganz klar geworden, aber das ist egal, so wie alles an diesem
ganzen Gespräch mittlerweile egal ist. Die einzig interessante Frage ist:
Wer fällt als Nächstes über das Kopftuch her? Die Anlageberater, die
Diabetologen, die Porzellanmalerinnen?

Im Vorfeld und im Anschluss der Konferenz gab es die
üblichen Debatten darüber, ob es sich bei so einer Tagung um Rassismus oder
Feminismus handele. Die Wahrscheinlichkeit ist eher, dass es sich um gar nichts
handelt. Bei den Sprecherinnen handelt es immer um dieselbe Handvoll Frauen,
deren Karriere ja längst am Ende gewesen wäre, gäbe es keine Kopftuchträgerinnen.
Natürlich reden sie sich immer heraus, dass es um etwas Größeres ginge. Um den
Islamismus etwa. Die Konferenzen heißen aber nie Islamismuskonferenz. Warum sie
sich überdies nicht gleich mit dem islamistischen Patriarchat anlegen, statt
einen Umweg zu gehen und sich an den mutmaßlichen Opfern abzuarbeiten, ist ein
Widerspruch, an den man sich irgendwie auch schon gewöhnt hat.

Hier wird sowieso etwas Feminismus genannt, was mit
Befreiungstheologie besser umschrieben wäre. Die islamkritischen (auch so ein
alberner Begriff, aber das zu erklären, wäre ein anderer Text) Feministinnen wären
gerne eine Stimme für die Unterdrückten. Aber die vermeintlich unterdrückten
Frauen unter dem Kopftuch haben auch Besseres zu tun, um auch noch als
Karrierekick für all jene Frauen missbraucht zu werden, die mit ihrer
Ethnologie oder wo auch immer sonst sie arbeiten offensichtlich gewaltig unterfordert
sind.

Gab es in Sachen Kopftuch eigentlich je auch nur einen Gedanken,
eine einzige Idee, der neu und aufsehenerregend war? Irgendetwas, von dem man
denkt, aha, ach so? In all den Jahrzehnten, den Hauch einer Erkenntnis,
irgendwie, irgendwo? Immerhin wurden schon Brokkollionen Symposien, Konferenzen
und Tagungen durchgeführt.

Man muss lieben, was man befreien will

Es gibt einen Merksatz, den man sich als feministische Aktivistin,
je nach politischer Einstellung, hinter den Hidschab oder die Menstruationstasse
klemmen sollte: Man kann Menschen nicht gegen ihren Willen befreien. Und niemand hat das Recht, ihnen überhaupt Befreiungsbedarf zu unterstellen.

Alle großen Menschenrechtler, all die Männer und Frauen, die
einem Halt geben im Denken, waren gütige Menschen. Ganz egal ob Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Betty Williams oder Marie Juchacz, sie alle handelten mit liebevollen
Gesten. Weil sie ihren Kampf für Gemeinsinn, Freiheit, Frieden oder
Geschwisterlichkeit aus dem Glauben an die Kraft der Menschlichkeit
bestritten. Fast alle prominenten deutschen Stimmen gegen das Kopftuch aber
handeln aus Verachtung und Geltungssucht. Man ist entsetzt von diesen Frauen
und auch Männern, weil sie mit totalitären Instrumenten hantieren. Die Sprache,
der Duktus, das Gebaren gegenüber jenen Frauen, die sich
weigern, sich nicht nur auf der Stelle des Islamismus schuldig zu bekennen und augenblicklich
ihre Tücher von den Köpfen ziehen, hat abstoßende Ausmaße angenommen. Befreit man so Menschen, fragt man sich. Befreit man so Menschen, fragt man sie. Man muss
lieben, was man befreien will.

Wer unbedingt glaubt, bandenmäßig Feminismus betreiben zu
müssen, kann das gerne tun. Wer aber wirklich daran interessiert ist, Mädchen
und junge Frauen zu unterstützen, kann dies auf vielfache Weise tun. Als freiberufliche
Kolumnistin oder Kolumnist kann man Praktikantinnen, Studentinnen,
Berufseinsteigerinnen unterstützen. Man kann ihnen zur Seite stehen und sich
immer sagen, im Zweifel möchte man lieber eine tipp-topp ausgebildete Frau
unter einem Kopftuch wissen als eine nicht tipp-topp ausgebildete Frau. Wer
nicht freiberuflich arbeitet, sondern in anderen Strukturen, hat noch sehr viel
mehr Möglichkeiten. Es gibt sie, diese verborgen bleibende Unterstützung, und sie
geschieht tausendfach in diesem Land. Jede Frau, die es gegen den Willen dieser
Gesellschaft hoch schaffte, kann über so eine Hilfe berichten. Kleines
Geheimnis: Für “Kopftuchfrauen” ist in dieser Gesellschaft kein Aufstieg
vorgesehen.

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