/Heimat: Verbindend, nicht trennend

Heimat: Verbindend, nicht trennend

Mir ist zuweilen so,
als ob das Herz in mir zerbrach.
Ich habe manchmal Heimweh.
Ich weiß nur nicht, wonach

Dies ist die letzte Strophe von Mascha Kalékos Gedicht
Emigranten-Monolog,
veröffentlicht im Jahr 1945. Die nach Amerika ausgewanderte
Dichterin spricht darin über Verlusterfahrungen durch Krieg, Flucht, Vertreibung und Exil.
Doch das Gedicht deutet auch an, dass der Mensch, der seine Heimat verliert und damit alles
Vertraute, auch die Chance auf einen Neubeginn hat. Er kommt, früher oder später, an einem
anderen Ort an und muss sein Leben neu gestalten, eine neue Heimat finden. So verstanden, wird
Heimat dann zum Ziel, zum Endpunkt einer aktiven Aneignung. Dafür müssen sich neue Bindungen
entwickeln. Ohne die Offenheit anderer Menschen ist dies kaum möglich. Heimat meint nicht
allein Herkunft. Sie meint auch Ankunft. Das gerät in den kontroversen Debatten, die derzeit
um Heimat, um Flüchtlinge und ihre Integration geführt werden, zumeist in Vergessenheit.

Bisher ist es gerade die Unbestimmtheit des Begriffs, die dazu führt, dass Heimat als
vielfache Projektionsfläche dient. Mit Rekurs auf den Nationalsozialismus galt schon das Wort
allein über lange Jahre als vorbelastet. Die Heimatfilme der Fünfzigerjahre in der
Bundesrepublik trugen ihren Teil zum reaktionären Image bei. Indes: Auch die DDR mit ihrer
nach eigenem Verständnis völlig neuen Gesellschaftsordnung setzte auf Heimat. Das Logo “Meine
Heimat DDR”, darin ein Dorf unter aufgehender Sonne, wurde als FDJ-Aufnäher oder Anstecknadel
vertrieben. Neben diesen Projektionen gab es aber zumindest im Diskurs der alten
Bundesrepublik auch ganz andere Zuschreibungen. Ein Beispiel ist die Debatte um den
mehrteiligen Fernsehfilm
Heimat
von Edgar Reitz in den Achtzigerjahren. Heimat
etablierte sich, zumindest eine Zeit lang, als Synonym für alternative Idylle, war für
Öko-Bewegung und Grüne auch ein Gegenkonzept zu Fortschritt, zu Atomarsenalen sowie dem damals
verbreiteten Glauben, mit Technik allein ließen sich gesellschaftliche Probleme lösen.

Heute ersetzt Heimat in der Politik häufig den Begriff der Leitkultur. Heimat wird
gegenwärtig stark identitätspolitisch vereinnahmt. Für die nationalistische Rechte dient der
Begriff als eine Grenzziehung gegen Migranten und Flüchtlinge. Heimat soll ein Substrat für
“Deutsch” sein, eine spezifische Identität festschreiben, mithin Ausdruck für eine bestimmte
Art zu leben sein. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gilt der Begriff daher als
geradezu toxisch. Heimat sei der “Kampfbegriff” einer christlichen weißen Gesellschaft, in der
Männer das Sagen haben und Frauen sich ums Kinderkriegen kümmern, schrieben kürzlich die
Journalistinnen Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah in ihrem Buch
Eure Heimat ist
unser Albtraum
.


Woran aber denken die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, wenn sie von Heimat sprechen –
heute im 21. Jahrhundert, im Zeitalter von Globalisierung und Migration? In der
Vermächtnis-Studie von
ZEIT, infas und WZB wird der Heimatbegriff empirisch so
umfassend untersucht wie nie zuvor. Zum einen wurde gefragt: Wie wichtig ist es den Menschen
persönlich, eine Heimat zu haben? Die Antwort fällt deutlich aus: Für 89 Prozent der 2.070
Befragten ist Heimat sehr wichtig. Dies trifft nahezu gleichermaßen auf Jung und Alt zu, auf
Männer und Frauen, auf unterschiedliche Einkommensgruppen und soziale Schichten, auf Stadt-
und Landbewohner.

Um die Bedeutung des Heimatbegriffes zu erforschen, wurde zudem gefragt: “Was verstehen Sie
persönlich unter dem Begriff Heimat?” Allen Teilnehmern der Studie wurden 14 Aussagen
vorgelegt, die ein breites inhaltliches Spektrum abdecken (von “Geborgenheit” bis
“Grundbesitz”, von “Kindheit” bis “Natur”). Die Aussagen sollten alltagsbezogen und so frei
wie möglich von politischer Ideologie sein. Das Ergebnis: Beim Begriff Heimat unterscheiden
die Menschen zwischen drei Bedeutungsebenen, einer sozialen, einer emotionalen und eine
territorial-kulturellen.

Für die soziale Dimension ist das unmittelbare Umfeld der Menschen relevant. Geprägt von
Familie, Freunden und Bekannten, ist Heimat stark verbunden mit der Erfahrung persönlicher
Geborgenheit.

In emotionaler Hinsicht ist sie ein Ort der Erinnerung. Nach dem berühmten Wort von Ernst Bloch ist es “etwas, das allen in die Kindheit scheint”. Solche heimatlichen Gefühle haben
auch sinnliche Aspekte wie Gerüche – die Erkenntnisse der Vermächtnis-Studie spiegeln das
wider.

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