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Festspiele von Cannes: Zeit der Zombies

Der große Menschenfreund
Jim Jarmusch eröffnet mit seinem Film The Dead Don’t Die die 72.
Festspiele von Cannes, und er hat darin seinen Optimismus in Hinblick auf die
Zukunft der Menschen erstmals verloren. “Das wird übel enden”, sagt
sein Held, der tapfere Polizeibeamte Ronnie alias Adam Driver gleich zu Beginn.
Da gehen zunächst bloß die Uhren plötzlich falsch. Bald aber wird klar, dass
unser ganzer Planet buchstäblich nicht mehr rund läuft. Habgierige Menschen haben ihn auf der Suche
nach immer neuen Energiequellen aus der Achse gekippt. Die Sonne versinkt nicht
mehr hinter dem Horizont. Als sie es dann doch zur Unzeit tut, geht sie für den
Rest des Films nicht mehr auf. Die Toten erheben sich aus ihren Gräbern, und das
Leben in dem beschaulichen Städtchen Centerville nimmt wie gesagt einen
schlimmen Lauf. Die Stunde der Zombies ist gekommen.

Selbstverständlich ist das nicht als Omen für die Festspiele
in Cannes zu werten. Wie der Film von Jim Jarmusch wäre es aber
selbstverständlich ein viel zu großer Spaß, um es nicht zu tun: Konsumwahn,
zombiehafte Auftritte, Selbstreferenzialität – alles dabei.

Jarmuschs Zombies zeichnen sich dadurch aus, dass sie im
Gegensatz zu ihren zahllosen Verwandten in anderen Filmen nicht einfach nur dumpf
durch die Straßen und Häuser torkeln. Das
tun sie auch. Besonders sehenswert dabei übrigens Iggy Pop. Vor allem aber
gieren sie nach dem, wonach sie vermutlich schon zu echten Lebzeiten gegiert
haben: die Kinder nach Süßkram, die Männer nach Rasenmähern, Gitarren und
ähnlichem Tand, die Frauen nach Xanax und die Jugend nach WLAN.  

“Dieser doofe Jim”

Der 66-jährige
Jarmusch mag seinen Optimismus verloren
haben. Seinen Humor hat er behalten. Bill Murray spielt im Film einen Polizisten, den Cop Cliff. Einen beherrschten, stets um das Gute bemühten Mann, der die
überforderte Kollegin freundlich tröstet und selbst den unausstehlich
rassistischen Farmer als Bürger ernst nimmt und vor der Gefahr der Zombies
warnt. Dieser Cliff hat offensichtlich die gleiche Sicht auf die Welt wie  Jarmusch: menschenfreundlich, das Gute wollend. Irgendwann im Film sagt dann dieser Cliff sinngemäß: “Ich habe das Skript nicht zu lesen bekommen, dieser doofe Jim.”

Da tritt also der Schauspieler Bill Murray hinter seiner
Figur Cliff hervor und verlässt den cinematografischen Deal zwischen
Filmemacher und Zuschauer, nach dem beide so tun, als wüssten sie nicht ganz
genau, was hier läuft, nämlich ein Film. Indem Jarmusch uns den Vertrag
einseitig und ohne vorherige Absprache aufkündigt, zwingt er das Publikum
selbst anzuerkennen: Hey, ich sitze hier reglos in meinem Kinosessel und verlange
danach, mich bestens unterhalten zu lassen. Aber was, wenn das Ende gar nicht
klar ist? Und vor allem: Wer bestimmt eigentlich darüber, was hier aus den
Figuren alias Menschen werden soll? Allein dieser Moment wunderbarer Irritation
ist den Film wert.

Und natürlich die Besetzung: allen voran Adam Driver als
inzwischen einer der besten Schauspieler Hollywoods und Bill Murray als immer
noch einer der besten. Daneben Jarmuschs überirdisch agierende Muse Tilda Swinton sowie Chloë Sevigny als dritte Polizistin und Tom Waits als Eremit und
antiker Chor.

Hits: 5