/“Antiporno”: Herrschaft, Sex und Begehren

“Antiporno”: Herrschaft, Sex und Begehren

Erst tanzt sie nackt und beschwingt durch ihr kanariengelb
gestrichenes Apartment, dann meditiert sie einen Moment auf ihrem
menstruationsblutgefärbten Klo, schließlich
empfängt sie ihre servile Assistentin, um diese gut gelaunt zu demütigen
und zu erniedrigen: So verläuft ein ganz gewöhnlicher
Morgen im Leben eines aufstrebenden japanischen It-Girls. Oder nicht?

Als Nächstes
steht eine Gruppe von Fotografinnen eines wichtigen Modemagazins vor der Tür;
und um die Session mit dem It-Girl interessanter aussehen zu lassen, wird die
Assistentin zunächst gezwungen, an einem Hundehalsband
auf allen Vieren durch das Apartment zu krabbeln, dann muss sie sich die
Pulsadern aufschneiden und ihr Blut über den Mitgliedern der bereits äußerst
erotisierten Morgenspaßgesellschaft verteilen. “Cut!”

Antiporno
heißt der neue Film des japanischen Regisseurs Sion Sono, der
zwei Jahre nach seiner Uraufführung nun auch in die deutschen Kinos
kommt: eine 70 Minuten kurze, sonderbar anarchische und zugleich formal streng
durchstrukturierte Bildfantasie über den Zusammenhang zwischen Sex und
Macht, Begehren und Verstellung, Authentizität und Entfremdung.

Sion Sono begann seine Karriere Mitte der Achtzigerjahre mit wüst
verwackelten, schön nihilistischen Punkfilmen, in denen
die Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation (“life sucks“)
ebenso motivführend war wie das Zurschaustellen von Exkrementen und
kennerhaft ausgewählten filmhistorischen Zitaten; sein
auch nach 30 Jahren immer noch fabelhaft verstörender Erstling A Man’s
Flower Road
war 2016 auf der Berlinale zu sehen.
Bei den Berliner Filmfestspielen hatte er auch schon in früheren
Jahren für Furore gesorgt, insbesondere 2009 mit seinem vierstündigen
Großwerk Love Exposure,
in dem ein streng katholisch erzogener Priestersohn erst einen langen Umweg über
Perversionen jeglicher Art gehen muss – vom Voyeur, der seine Kamera virtuos
unter den kurzen Röcken vorbeilaufender junger Mädchen
platziert, bis zum überzeugten Travestiten, der in
Frauenkleidern seine Verführungskünste an eben
solchen Mädchen erprobt –, bevor er nach weiteren Stationen in
einer Sekte und der geschlossenen Psychiatrie doch die große
Liebe seines Lebens zu finden vermag: seine Stiefschwester.

Antiporno ist demgegenüber
kürzer und konzentrierter, aber nicht weniger einfallsreich in
der Verschränkung von streng durchgeformten, symbolisch aufgeladenen Erzählkonzepten
und lustig drauflos gedrehtem Exzess. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit:
Der Film ist im Rahmen des Roman Porno Reboot Project
des Tokioter Nikkatsu Studios entstanden. In den Siebzigerjahren hat
dieses das japanische Publikum mit einer schier unüberschaubaren Menge
von Softpornowerken
versorgt, zur gleichen Zeit also, als auch in
Westdeutschland die Filme der Sexwelle wie Schulmädchen-Report
zu den erfolgreichsten Kinoproduktionen aufstiegen.

Doch während
hierzulande die Nackt- und Kopulationsszenen –
auch wegen des noch gültigen strengen Pornografie-Paragrafen
– stets in pseudowissenschaftliche Rahmenhandlungen
eingebettet werden mussten, waren die Regisseure der japanischen Romanpornos
völlig frei in der Gestaltung ihrer Geschichten. Sie mussten
sich lediglich an die Längenvorgabe des Studios halten –
eben 70 Minuten –, und an die Vorschrift, dass alle zehn
bis 15 Minuten eine Sexszene eingebaut wird.

Innerhalb dieser formalen Vorgaben war jede Art der Handlung
erlaubt. So finden sich im Genre des Romanporno gleichermaßen Actionpornos,
Horrorpornos, Sadomasopornos und film-noir-artige
Sozialkritikpornos. Auch mit psychoanalytischer Symbolik wird in der Hochzeit
dieser japanischen – wie man vielleicht sagen könnte
– Autorenpornofilme ausgiebig
gespielt, etwa in Noboru Tanakas Eine Frau namens Sada Abe
aus dem Jahr 1975, in dem die Titelheldin ihren Geliebten beim Sex aus
Versehen erdrosselt und fortan seinen Penis als Andenken trägt.

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