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EuGH: Frarbeitszeit ist immer

Man muss sich einen Richter als Eremit in Teilzeit vorstellen. Egal, was er entscheidet, ein
faires Urteil setzt eine Distanz zum Gegenstand voraus – also auch zum echten Leben da
draußen. Ein Richter urteilt qua Amt, nicht qua persönlicher Erfahrung. Nähe droht ihn zu
korrumpieren, auch die Nähe zur eigenen Person als, sagen wir, Vater zweier Töchter,
Fahrradfahrer, CDU-Wähler, Computerspieler, FC-Barcelona-Fan.

Ganz sicher sind auch die Richterinnen und Richter am Europäischen Gerichtshof in
Luxemburg auf Distanz zu sich selbst gegangen, als sie entschieden, dass Arbeitgeber in der
EU die Arbeitszeiten
ihrer Angestellten künftig komplett erfassen müssen. Also nicht nur die
Überstunden, wie bislang etwa in Deutschland üblich. Sie wollen der Entgrenzung der Arbeit Einhalt gebieten, das ist nachvollziehbar. Hätten sie sich selbst zum Vorbild
genommen, hätten sie wohl dennoch anders entschieden. Jedenfalls scheint es unwahrscheinlich, dass
derart profilierte Juristen ihre Arbeit in nur acht Stunden täglich erledigen und immerzu darauf bedacht sind, die mindestens elfstündige Ruhezeit einzuhalten. Denn auch das bedeutet das Urteil.  

Kopfarbeiter sind nun mal keine Lkw-Fahrer, Denkzeiten keine Lenkzeiten. Wenn jemand, aus welchem Grund auch immer, entscheidet, in seiner Freizeit zu arbeiten,
dann würde sich der Arbeitgeber, der das verbieten muss, ja ins Privatleben seines Angestellten
einmischen. Anders formuliert: Kann man die Freizeit retten, indem man sie reglementiert? Kein höchstrichterliches Urteil kann doch Menschen, die nicht nur von, sondern auch für ihren Job leben, mal eben einen neuen Sinn stiften. Ganz zu schweigen davon, dass zeitlicher Mehraufwand der wohl sicherste Weg ist, Karriere zu machen.  

Wie soll man Arbeit und Freizeit auseinanderdividieren?

Gerade bei Jobs, in denen intrinsische Motivation eine große Rolle spielt, stellt sich zudem die Frage, wie man Arbeit und Leben überhaupt auseinanderdividieren soll. Konkret: Ein
Zeitungsredakteur, der über Innenpolitik und Wirtschaft schreibt, sitzt zu Hause am Frühstückstisch und liest
die Sonntagszeitung der Konkurrenz. Zuerst den Kommentar zur SPD (Arbeitszeit?), dann die Glosse über
das britische Königshaus (Freizeit), dann die Seite drei über ein Bauprojekt in Nicaragua, wo er mal ein Semester studierte (Freizeit), an dessen Realisierung aber, wie sich in Absatz sieben herausstellt, eine deutsche Firma beteiligt ist, deren
Vorstandsvorsitzender mal Bundesminister war (Frarbeitszeit?).

Letztlich ist die EU-Richtlinie zur Arbeitszeiterfassung eine richtige Entscheidung unter falschen Voraussetzungen. Um nicht zu sagen:
im falschen System. Solange Angestellte daran gemessen werden, welchen Mehrwert
sie einem Unternehmen bringen, solange nützt auch die erzwungene Arbeitszeiterfassung nur
theoretisch. Solange ist sie zusätzlicher Druck für jene, die Angst haben, aussortiert zu
werden – wenn nach acht Stunden nicht das erwartete, wenn auch oft unausgesprochene,
Ergebnis unterm Strich steht.  

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