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Cannes: Weltspitzenklassentreffen des Autorenkinos

Und er läuft doch. Quentin Tarantinos Sechzigerjahrefilm Once Upon
a Time in Hollywood
gehört zu den meisterwarteten Produktionen des
Jahres, und als Festivalchef Thierry Frémaux bei der Vorstellung des
Cannes-Programms im April nur versprechen konnte, einen Slot für das
Werk freizuhalten, stieg die Spannung erst recht. Tarantino soll
wochenlang quasi 24/7 im Schneideraum gesessen haben – er ist fertig
geworden.

Nun
werden am 21. Mai 2019, exakt 25 Jahre nach der Weltpremiere von Tarantinos
heftig umstrittener Gewaltkomödie Pulp Fiction ebenfalls in Cannes,
Leonardo DiCaprio und Brad Pitt mit dem Regisseur über den roten
Teppich laufen. DiCaprio spielt einen abgehalfterten TV-Schauspieler und
Brad Pitt sein Stuntdouble, die beiden wollen in Tinseltown Karriere
machen. Der Film spielt in der Hippieära der Sixties, vor dem
Hintergrund der Morde der Manson-Family. Margot Robbie verkörpert
Sharon Tate, auch Dakota Fanning, Al Pacino und Kurt Russell gehören zum
Cast. Festivalchef Thierry Frémaux nennt den Film einen “Liebesbrief an
das Hollywood seiner Kindheit, eine Rockmusiktour ins Jahr 1969 und
eine Ode an das Kino insgesamt”. Und bei der Pressekonferenz in Cannes
wird Tarantino gewiss Fragen nach Harvey Weinstein beantworten müssen: Once Upon a Time… ist seine erste Produktion ohne den mächtigen,
wegen MeToo-Anklagen vor Gericht stehenden Hollywoodmogul.

Was die Starpower betrifft, sucht das 72. Filmfest von
Cannes seinesgleichen. Zwar kann man dem Festival wegen seines
anhaltenden Netflix-Boykotts, seines Machismo und dem Selfie-Verbot am
roten Teppich vorwerfen, es sei im Gestern steckengeblieben. Aber das
Line-up der inzwischen 21 Palmen-Kandidaten
(ebenfalls nachnominiert wurde Abdellatif Kechiches Vier-Stunden-Film Mektoub, My Love: Intermezzo) liest sich eben doch wie ein
Weltspitzenklassentreffen des Autorenkinos. Allein zur Eröffnung mit Jim
Jarmuschs Zombiekomödie The Dead Don’t Die tummeln sich an diesem
Dienstag Bill Murray, Tilda Swinton, Iggy Pop und weitere Stars vor dem
Festivalpalais. Murray spielt einen Kleinstadtcop, der mit seinem Sohn
(Adam Driver) für Ordnung zu sorgen versucht, als die Toten aus den
Gräbern steigen.

Ja, Cannes ist ein Festival der Stammgäste:
Pedro Almodóvar zeigt Dolor y Gloria mit Antonio Banderas und Penélope Cruz, der zweifach palmenprämierte Ken Loach das Sozialdrama Sorry We
Missed You
über die Folgen der Finanzkrise für eine einfache Familie.
Terrence Malick kommt mit dem Weltkriegsfilm A Hidden Life, in dem
August Diehl einen NS-Kriegsverweigerer spielt und Bruno Ganz ein letztes Mal zu sehen ist;
die Dardenne-Brüder beobachten in Le jeune Ahmed die Radikalisierung
eines jungen Moslems. Ira Sachs, eigentlich Berlinale-Stammgast, kommt
mit der französisch-amerikanischen Produktion Frankie mit Isabelle Huppert. Und die Jury steht unter Leitung des vierfachen Oscargewinners
Alejandro González Iñárritu. Am 25. Mai wird sie ihre Preise verkünden.

Vier Frauen unter 21 Wettbewerbsregisseuren

Die Beharrungskräfte (und die Arroganz) sind beachtlich in Cannes.
Schauspiellegende Alain Delon wird mit der Ehren-Palme ausgezeichnet,
trotz Protesten wegen sexistischer Äußerungen und seiner Nähe zum Front National. Und nur vier Wettbewerbsfilme stammen von Frauen – einer mehr
als im Vorjahr. Neben Little Joe von der Österreicherin Jessica Hausner – einem Science-Fiction-Thriller um eine genmanipulierte Pflanze
– zählt dazu auch Atlantiques von Mati Diop, die aus afrikanischer
Perspektive von Flüchtlingen auf dem Seeweg nach Europa erzählt. Diop
ist die erste schwarze Frau überhaupt, die am Palme-Rennen teilnimmt.
Eine deutsche Produktion ist wieder nicht dabei, zuletzt war die
Bundesrepublik 2017 mit Fatih Akins NSU-Drama Aus dem Nichts vertreten.

Cannes, das ist Glamour und Kunst, ergänzt um den weltgrößten Filmmarkt.
Während man die Uhr danach stellen kann, dass die beiden aktuellen
Netflix-Produktionen von Martin Scorsese (The Irishman mit Robert De Niro und Al Pacino) und Steven Soderbergh (The Laundromat mit Meryl Streep und Gary Oldman) in Venedig laufen – genau wie Roma 2018 –,
spekuliert die Branche darüber, ob die Streamingdienste in Cannes
ähnlich viel Geld ausgeben werden wie im Januar in Sundance. Dort kaufte
allein Amazon für 50 Millionen Dollar Filmrechte ein, Netflix war mit
zehn Millionen dabei. Und weitere Player wie Disney Plus oder WarnerMedia
sind am Start.

Die Fans auf der Croisette kommen allemal auf ihre
Kosten: Auch Elton John und Maradona werden in Cannes erwartet. Und die
Gastronomen und Hoteliers dürften wieder an die 200 Millionen Euro
verdienen – in nur zwölf Festivaltagen.

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