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Verpackungsmüll: Das ist doch Käse!

Der Käse hat mich provoziert. Er begegnete mir in einem Werbevideo im
Internet: Vier Scheiben Schnittkäse liegen mit einer Feige auf einem Teller, im Vordergrund
wippen grüne Blätter, im Hintergrund zwitschern Vögel; eine Ukulele spielt das Lied der
Unbeschwertheit. Dann setzt eine erotische Frauenstimme ein und erklärt, man habe 30 Prozent
recyceltes Plastik für die Verpackung benutzt, 23 Prozent weniger Kunststoff eingesetzt und
das ganze Ding 100 Prozent recyclingfähig gestaltet. Zusammengefasst lautete die Botschaft:
Mit dieser kleinen Käseschale könne man einen großen Beitrag zum Schutz unserer Umwelt
leisten.

Ich sage es mal ohne Feigengarnitur: Das ist Unsinn! Großer Käse! Mit Plastikschalen ist die Umwelt nicht zu retten. Käseverpackungen sind ganz im Gegenteil der vielgestaltigste Wahnsinn, den die Verpackungsindustrie je ersonnen hat.

Es ist doch so: Gerade haben die Vereinten Nationen wieder ihren Umweltbericht vorgelegt, der bestätigt, was im Grunde auch alle anderen Umweltberichte zeigen: dass Plastik die Erbsünde des Anthropozäns ist. Dass wir an unserem Müll zugrunde gehen und endlich aufhören müssen, ihn zu produzieren. Radikal. Vollbremsung. Systemwechsel. Zack, bumm, Plastikzeitalter Ende.

Hunderttausende von Jugendlichen streiken jeden Freitag für eine bessere Zukunft, Wissenschaftler argumentieren sich auf Podien ins Delirium, um vor den Folgen der Plastikvermüllung zu warnen, Aktivisten posten Bilder von Müllaufräumaktionen – und ein Käsekonzern will mir erklären, dass ich mit einer irgendwie recycelten Plastikschale die Umwelt schütze?

Es erscheint wie ein unverrückbares Gesetz: Wer Käse kauft, bekommt ihn in Kunststoff verpackt. Mal am Stück in einem Plastikbeutel, mal als Scheiben auf einer Hartschale mit Folie, als portionierte Stückchen in beschichteter Folie, unter durchsichtigen Hauben oder als Aluminiumecke in einer runden Pappschachtel. Für jedes Käschen ein eigenes Kästchen. Aus ästhetischer Perspektive kann das sogar interessant sein, dieses Kaleidoskop der Formen, Farben und Materialien.

Doch seit ich als Kind einen Großteil meiner Abendbrotzeit mit Versuchen verbracht habe, von einem Scheibletten-Schmelzkäse die Plastikfolie abzuziehen, ohne dass der Käse dabei reißt, betrachte ich Käseverpackungen mit Misstrauen. Warum ist der eingewachste Babybel noch mal in Folie eingewickelt und in ein unzerstörbares Netz verpackt? Hat jemals jemand ein Parmesanschälchen, ohne zu fluchen, geöffnet? Und wie lange muss ich diesen absurden Quatsch zur angeblichen Erfüllung angeblicher Konsumentenbedürfnisse noch ertragen?

Mir ist schon klar, dass die verschiedenen Sorten unterschiedlich verpackt sein müssen, um in den endlosen Regalmetern der Supermärkte Orientierung im Überfluss zu schaffen. Den richtigen Käse für das Abendessen auszuwählen ist eine Herausforderung. Eigentlich müsste man erst einen Persönlichkeitstest machen, um zu prüfen, wer man ist und was man will. (Es gab mal einen im Frauenmagazin
Jolie.
Er hieß “Welcher Käse bin ich?”. Ich selbst bin demnach Schnittkäse, hart, aber herzhaft, irgendwo zwischen Gouda und Gruyère.)

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