/“Tatort” Frankfurt: Meine Frau ist mein Vorbild

“Tatort” Frankfurt: Meine Frau ist mein Vorbild

Der Tatort ist
auch deshalb ein deutscher Klassiker, weil er wöchentlich wechselnd durch den
hiesigen Föderalismus tourt. Für die letzten vier Wochen hieß das: Dortmund,
Bremen,
Dresden
und Berlin.
Ein Platz auf dieser Landkarte garantiert Sichtbarkeit, die fürs Stadtmarketing
eine Art Bilbao-Effekt
erzeugen kann wie im Fall von Münster
– aber auch mal Verdruss hervorrufen, wie jüngst in Dortmund.


Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht".

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

In Das Monster von
Kassel
(HR-Redaktion: Liane Jessen, Lili Kobbe, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) macht
das Frankfurter Team – ursprünglich als “Eventfolge” angedacht und
daher von der Degeto unterstützt – nun einen Ausflug in die beliebte
Nordhessen-Metropole. Den hatte der vormalige HR-Intendant Helmut Reitze
(2003–2016) versprochen – oder “großspurig angekündigt”, wie es auf tatort-fundus.de heißt. Dass Reitze in der Kassel-Folge einen Auftritt als Reporter hat, mag im
produzierenden HR als Binnenwitz gelten. Für Außenstehende wirkt der Gag fad,
weil damit die unsympathische Eitelkeit eines Senderfürsten gestreichelt wird,
der sich besser als Funktionsträger verstünde. 

Immerhin: In Anbetracht des fertigen Films könnte ein Spaßvogel
sagen, der Fall hat Reitzdarm. Soll heißen: Das
Monster von Kassel
fällt eher durch. Dabei verströmt die Geschichte mit
ihrer verschobenen Chronologie (Drehbuch: Stephan Brüggenthies, Andrea Heller)
gewisses Kunstwollen und die Regie (Umut
Dağ) macht auf dicke Hose, wenn die ermittlungsstiftende Leiche zu Beginn
in dramatischem Regenfall zerkleinert werden muss.

Der Mörder kommt recht bald ins Bild. Es handelt sich um den
populären Talkshowmoderator Maarten Jansen (Barry Atsma), der seinen (Zieh-)Sohn umgelegt hat. Auf der ersten Zeitebene (“Eine
Woche zuvor”) ermitteln Grand Brix (Wolfram Koch) und seine
fotografierfreudige Kollegin Anna Janneke (Margarita Broich), in Kassel
verstärkt durch die Lokalkraft Constanzen Lauritzen (Christina Große), wie
gewohnt. Auf der zweiten hat sich Jansen freiwillig zu einem, nun ja, Talk aufs
Revier begeben, wo er von Janneke empfangen wird. Als der Verdacht auf ihn
zuläuft, münden die beiden Erzählebenen ineinander.

Das klingt nicht nur umständlich, es ist auch nicht
spannend. Das Monster von Kassel ist ein
langatmiger Film, der Zeit mit Befragungen verschwendet, aus denen kaum
Erkenntnisse resultieren. Wenn der Zuschauer den Mörder schon kennt, müsste die
Suspense vons Janze doch aber anderswo herkommen: Die beiden letzten
Tatort-Folgen von Erol Yesilkaya
haben gezeigt, wie so was geht, der Münchner Populismusfilm Wir kriegen euch alle hat dem Prinzip in Perfektion gehuldigt und selbst die Improvisationsepisode Waldlust von Axel Ranisch hat das Spiel mit der Täter-sitzt-zu-Beginn-auf-dem-Revier-Prolepse besser beherrscht.

Das Problem in Kassel ist fehlende Raffinesse und
Erzähllust. Der getötete Jansen-Sohn Luke bleibt trotz der Ermittlungen so
blass, dass man fast Mitleid mit den Kommissaren kriegt. Die wirken, als
dürften sie nichts rausfinden, als müssten sie an den kargen Informationen zum
Motiv (Luke war den Verhältnissen des Vaters mit jungen Ladys auf die Schliche
gekommen, darunter die von ihm begehrte Nachbarstochter) rummümmeln wie
Jägerinnen auf dem Hochsitz, die fürs gesamte Wochenende nur ein Hasenbrot
dabei haben.

Zudem bettelt der slicke Talk-Guru Jansen von Beginn an
derart um die Buhs aus dem Publikum, dass die Betrachterin sich ungeduldig
fragt, warum die Polizei ihn nicht einfach wegen berechtigter Aversion
festnimmt. Wie soll man sich bei einer solch unsympathischen Figur am Ende
wundern, dass sie nicht so nett ist, wie sie gar nicht tun kann? Der finale
Großauflauf aus Frauen, die von Jansen ausgenutzt wurden, wirkt entsprechend
lächerlich. Um die Verlogenheit dieser Figur zu markieren, hätte bei der
Komparserie ordentlich gespart werden können.

In Das Monster von
Kassel
passt vieles nicht zusammen: Der Fall eines Straßburger
Serienmörders, von dem Jansen spricht und in den er sein scheinbar perfektes
Verbrechen gern eingereiht hätte, ist bloße Erwähnung und taugt nie zur
tatsächlichen Ablenkung. Die Gags, oder was der Dialogtext dafür hält, zünden
in der gravitätischen Inszenierung nicht: Wenn Janneke mit Brixi in einem
ergoogelten Restaurant zu Abend essen will, der aber schon mit Lokalkraft
Constanze verabredet ist und die Stammkollegin sich mit den Worten schleicht:
“Dann google ich noch mal ‘n bisschen” – dann schleicht sie sich
buchstäblich, wo die Pointe doch fix und trocken serviert werden müsste. Ganz
abgesehen davon, was in dieser Szene alles an Gefühlen und Konflikten zwischen
den Figuren steckt. 

Und Kassel als Stadt kommt auch nicht recht zur Geltung,
weil Jansens in einem gesichtslosen Einfamilienhaus wohnen, das in der
Reichengegend einer jeden Stadt stehen könnte. So erbarmt sich Brixi für ein
paar Radausflüge in der Demse
des vergangenen Sommers, um Postkartenansichten zu liefern (Kamera: Carol Burandt von Kameke): Wie der Kommissar Steinchen von einem Weg so pittoresk
aufhebt, dass hinter ihm der Herkules ins Bild ragt, das ist allerdings akkurat
gefilmt.

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