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Parteistrategien: Links ist das neue Schwarz

Für einen Mann, der seiner Partei angeblich gerade schweren Schaden
zugefügt hat, ist das ein bemerkenswerter Empfang. Eben noch wurden Andrea Nahles, Olaf Scholz, Heiko Maas und Katarina Barley brav beklatscht, da bricht plötzlich Jubel aus. Kevin Kühnert betritt die Bühne direkt vor dem Staatstheater in Saarbrücken. Der tosende Beifall,
den der Juso-Chef beim offiziellen Wahlkampfauftakt der Sozialdemokraten dafür erhält, dass er
es gewagt hatte, so zu reden, als sei die SPD eine linke Partei, lässt erahnen, was an der
Parteispitze längst nicht alle wahrhaben wollen: Kühnert hat mit seinen Sozialismus-Thesen
keinen Ego-Kurs eingeschlagen. Vielmehr hat er den Genossen ein Thema beschert, das viele
Menschen beschäftigt: die ungerechte Verteilung des Reichtums.

Und während Kühnert, angetan mit seinem Kapuzenpulli mit den bunten Europasternchen, in
Saarbrücken erklärt, wie er mit dem Geld der Digitalkonzerne die Jugendarbeitslosigkeit in
Südeuropa bekämpfen will, ziehen zur gleichen Zeit wieder Tausende ähnlich gekleideter “Friday
for Future”-Schüler
durch die deutschen Innenstädte. Die neue Zuspitzung der Gerechtigkeits-
und vor allem der Klimadebatte scheint immer mehr Leute in diesem Land zu elektrisieren –
allerdings nicht die, die es regieren.

Nach zehn gemeinsamen Jahren sind die Groko-Batterien der CDU, CSU und SPD so runter, dass
kein noch so heißes Thema sie wieder aufladen kann.

Groko, das dürfte bald vorbei sein. Offen ist nur noch, ob bereits in diesem Herbst oder doch
erst 2021. Doch mitten in dieser Endzeitstimmung taucht plötzlich eine Konstellation wieder
auf, von der man dachte, sie habe ihre nie ausgelebte Zukunft längst hinter sich:
Rot-Rot-Grün.

In Umfragen erreicht das Bündnis, das im Bund rechnerisch oft möglich war, aber nie
realisiert wurde, bis zu 48 Prozent Zustimmung und liegt damit deutlich vor der großen
Koalition. Das Besondere: Rot-Rot-Grün ist nicht mehr Rot-Rot-Grün, sondern Grün-Rot-Rot. Die Grünen, lange Zeit der schwächste Partner im verhinderten Bündnis, sind nun der stärkste. Ein
grüner Kanzler, der das Mitte-links-Bündnis anführt?

Wenn man in diesen Tagen mit Parteistrategen und Abgeordneten über die neue Konstellation
spricht, merkt man schnell: Die Linke kommt damit kaum klar. Und die SPD überhaupt nicht.

Jahrelang hatten sich die Grünen darauf eingestellt, bei nächster Gelegenheit an der Seite
der Union das Land zu regieren. Zur Not auch mit der FDP. Die Vorstellung erschien selbst den
verbliebenen Parteilinken immer verlockender, hatte Angela Merkel doch über Jahre eine de
facto schwarz-grüne Politik betrieben, sie aber nie so genannt, um keine Abwehrreaktion in der
Union auszulösen.

Seitdem Annegret Kramp-Karrenbauer den Vorsitz der CDU übernommen hat, ist es mit dem Grünen
im Schwarzen vorbei. Zuerst irritiert, dann immer verärgerter, so berichten Grüne im Gespräch,
nehme die Partei den gesellschaftspolitisch-ökologischen Rollback der neuen CDU-Chefin war:
Nein zur Homo-Ehe, Witze über das dritte Geschlecht, Angriffe auf die Grünen als
Verbotspartei, Ablehnung des Klimaschutzgesetzes der SPD-Umweltministerin, außerdem ein Nein
zu schärferen Emissionswerten für die Automobilindustrie und zur CO₂-Steuer. Merkel, so sagt
eine führende Grünen-Politikerin, sei “auch bei unseren Wählern” sehr beliebt. “AKK schreckt
sie ab.”

Doch es ist nicht die neue CDU-Chefin allein, die Schwarz-Grün unattraktiver aussehen lässt.
Mit Schrecken betrachten die Grünen die bisherige Bilanz der Unionsminister im Kabinett. Ob
Verkehr (Andreas Scheuer), Landwirtschaft (Julia Klöckner) oder Energie (Peter Altmaier) –
überall dort, wo die Grünen den radikalen Wandel wollen, um die Klimaschutzziele zu erreichen,
blockieren die Ressortchefs von CDU und CSU. “Nichts von dem, was uns wichtig ist, lässt sich
mit einer CDU durchsetzen, die sich vor ihrem Wirtschaftsflügel in den Staub wirft”, sagt ein
führender Grüner. Und: “Natürlich ist es attraktiv zu regieren. Aber die CDU der Annegret
Kramp-Karrenbauer ist kein attraktiver Partner.”

Der Frust über CDU und CSU treibt selbst die notorischsten Schwarz-Grün-Umschmeichler in die
Arme anderer Partner. So lobte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, eine
Schwarz-Grüne der ersten Stunde, in jüngster Vergangenheit nicht nur auffallend oft die
rot-rot-grüne Landesregierung unter Führung des Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in
ihrer Heimat Thüringen. Sie verweist auch darauf, dass am Ende dieses Superwahljahres
Rot-Rot-Grün in Thüringen, Brandenburg, Bremen und Berlin regieren könnte. Und dass dies
helfen würde, die Linke auch im Bund regierungsfähig zu machen. Für die Grünen wird Links
gerade zum neuen Schwarz.

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