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Islamismus: Der Spion von Hildesheim

Am Abend des 27. Juli 2016 stürmen SEK-Beamte eine ehemalige Schlecker-Filiale in der Hildesheimer Nordstadt. Die Polizisten schlagen im Erdgeschoss Türen und Schaufenster ein und dringen in die Räume, die nun die Moschee des deutschsprachigen Islamkreises (DIK) beherbergen. Die Moschee in der Martin-Luther-Straße galt seit Jahren als ein Hotspot für radikale Salafisten: Dort predigte Abu Waala, den die Sicherheitsbehörden für den IS-Chefideologen in Deutschland halten, dort trafen sich konspirative Gruppen und auch der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz Anis Amri besuchte sie. Der Moscheeverein ist damals, zum Zeitpunkt der Razzia, noch nicht verboten. Polizei und Verfassungsschutz sammeln erst noch möglichst viele Informationen.

Einige Stunden nach der Durchsuchung öffnet der damals 31-jährige Deutsche Alexander B. auf seinem Handy WhatsApp. B. hat von der Razzia gehört. Er besucht regelmäßig die Moschee, sein Vater ist der zweite Vorsitzende des Vereins. B. berichtet einem seiner WhatsApp-Kontakte mit dem Namen Hazem in dem Chatprogramm von der Durchsuchung. Hazem fragt, ob er Personen erkannt habe, die festgenommen worden seien? Daraufhin schickt Alexander B. an Hazem die Fotos von zwei deutschen Männern, die regelmäßig die Moschee besuchen, gegen einen der beiden ermittelt die Polizei. B. schreibt, dass der Mann nach Syrien ausreisen und dort kämpfen wolle.

Anklage: Agententätigkeit

Hinter dem Kontaktnamen Hazem, davon sind die deutschen Ermittler überzeugt, verbirgt sich ein Agent des jordanischen Geheimdienstes Da’irat al Muchabarat al-Amma, kurz GDI – so geht es aus Gerichtsdokumenten hervor, die der ZEIT vorliegen. Alexander B. soll ihm seit Anfang 2016 Informationen und auch Fotos zu Salafisten geliefert haben, die aus Deutschland zum IS ausreisen wollten. Der Generalbundesanwalt wirft B. deshalb geheimdienstliche Agententätigkeit gegen Deutschland vor.

Am 7. August 2018 nehmen Beamte des Bundeskriminalamtes Alexander B. nahe der thüringischen Stadt Laucha fest. Er war offenbar geschäftlich im Ausland unterwegs, bei der Wiedereinreise nach Deutschland schlagen die Fahnder zu. Die Bundesanwaltschaft klagt ihn anschließend wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach Paragraf 99 Absatz 1 des Strafgesetzbuches an. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Wie am vergangenen Donnerstag bekannt wurde, hat der Bundesgerichtshof die Anklage nun zugelassen.

Denn zunächst hatte das Oberlandesgericht in Jena es abgelehnt, das Verfahren gegen Alexander B. zu eröffnen. Begründung: Falls B. Informationen über ausreisewillige Dschihadisten an Jordanien verraten habe, dann habe er damit Deutschland eher geholfen als geschadet. Doch ob die Erkenntnisse, die B. wohl an Jordanien schickte, letztlich auch wieder an deutsche Sicherheitsbehörden zurückgeflossen sind? Das belegten die Richter am Oberlandesgericht Jena nicht. Sie führten lediglich aus, dass Deutschland zu Jordanien ein freundschaftliches Verhältnis pflege, im Kampf gegen den IS seien die beiden Länder Verbündete. Deutsche Sicherheitsinteressen würden deutsche Souveränitätsinteressen überwiegen.

Die Richter am Bundesgerichtshof argumentieren nun anders. Sie haben Anfang April 2019 beschlossen, die Entscheidung der Jenaer Richter aufzuheben, der Prozess gegen B. soll nun doch stattfinden. Für sie ist entscheidend: Alexander B. habe deutsche Staatsbürger ausgespäht, für die trage die Bundesrepublik eine Schutzpflicht gegen fremde Staaten. Und dieser Schutz gelte auch für Deutsche, die sich dem gewaltbereiten Salafismus verschrieben hätten. Damit habe sich das Ausspähen auf deutschem Boden klar gegen die Bundesrepublik gerichtet.

Alexander B. enttarnte sich selbst

Der Vorwurf lautet konkret, dass Alexander B. zwischen April 2016 und Mai 2018 mit Hazem in Kontakt gestanden und ihm Informationen geliefert habe. So fotografierte er beispielsweise im April 2016 einen Personalausweis, der dem Deutsch-Libanesen Mahmoud O. gehört, den das LKA Niedersachsen als Gefährder einstuft. O. zählt zum innersten Zirkel der Hildesheimer Salafisten, die Ermittler trauen ihm einen Anschlag zu. An diesem Morgen im April schickte Alexander B. die abfotografierte Vorder- und Rückseite des Ausweises an Hazem. Im Juli 2016 bot er ihm zudem an, einen Kontakt zu dem inzwischen verstorbenen Deutschen Denis Cuspert alias Deso Dogg herzustellen, der zu den führenden Propagandisten des IS zählte. B. soll Hazem offeriert haben, ihn in eine WhatsApp-Gruppe einzuschleusen, in der Cuspert mit dem IS kommuniziere. Der mutmaßlich jordanische Kontakt lehnte das aber ab, ihm war das offenbar zu heikel.

Enttarnt hat Alexander B. sich letztlich selbst. Als er in einem anderen Ermittlungsverfahren wegen Waffenschmuggel vernommen wurde, erzählte er den deutschen Beamten ungefragt und detailliert von seiner Spionagetätigkeit in Hildesheim. Vermutlich dürfte es ihm darum gegangen sein, mit seiner Offenbarung eine grundsätzlich rechtstreue Einstellung zu unterstreichen.

Geld soll B. für seine Informationen nicht erhalten haben. Wichtiger als Geld scheint für ihn Anerkennung gewesen zu sein. Den deutschen Ermittlern erzählte er von seinen Reisen nach Jordanien, wo er am Flughafen hofiert und von dort direkt in die Zentrale des Geheimdienstes geladen wurde – eine völlig andere Welt als das Umfeld in der Moschee in der Hildesheimer Nordstadt. Mit den Leuten, die in der Moschee verkehren, wolle er nichts zu tun haben, sagte er in seiner Vernehmung, es seien ideologische Spinner.

Die Anwälte von B. reagierten nicht auf Anfragen der ZEIT. Er selbst ist derzeit auf freiem Fuß, Aufenthaltsort unbekannt. Mit der Entscheidung der Bundesrichter tritt der alte Haftbefehl gegen B. wieder in Kraft, Haftgrund: Fluchtgefahr. Nach der Entscheidung aus Jena war B. zunächst freigelassen worden. Doch nach Recherchen der ZEIT konnte B. inzwischen nicht wieder verhaftet werden – möglicherweise hat er sich ins Ausland abgesetzt.

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