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“Europe Talks”: Über Reden

Es gibt in Europa verschiedene Stimmen: laute und leise, schrille und sanftere. Zweifellos haben sie das Potenzial, sich zu einem Größeren, einem Ganzen, gar einem Chor zu fügen. Doch – und das ist vielleicht eines der Kernprobleme der Europäischen Gemeinschaft – wie soll das gehen, wenn die nationalen Diskurse und Diskussionen kaum je aufgebrochen werden? Wenn Landsleute zunächst immer untereinander streiten?

An diesem Nachmittag haben sich Tausende Europäerinnen und Europäer in Paaren getroffen, virtuell per Videotelefonat oder ganz real, um zu reden und zu hören. 

Das Projekt Europe Talks ist eine Initiative von ZEIT ONLINE und bringt in Kooperation mit 15 europäischen Medienpartnern Menschen zusammen, die als europäische Nachbarn möglichst nah beieinander wohnen, aber möglichst gegensätzliche politische Ansichten vertreten – unter anderem zu diesen Themen: Macht die EU das Leben ihrer Einwohner besser? Sollten europäische Länder zum Schutz des Klimas eine Benzinsteuer einführen? Und leben mittlerweile zu viele Migrantinnen und Migranten in Europa? Mehr als 7.300 Paarungen hat ein Algorithmus so zum zeitgleichen Gespräch vermittelt.

“Was heute passiert, gab es so in der Geschichte Europas noch nie. Tausende Menschen aus 33 Ländernt treffen einen Unbekannten aus einem anderen Land, im Norden Norwegens wie auf La Gomera im Süden”, sagte Jochen Wegner, Chefredakteur von ZEIT ONLINE, zum Auftakt der Rahmenveranstaltung im BOZAR, dem Palais des Beaux-Arts in Brüssel.  Und erklärte den Werdegang des Projekts: von der Idee einer Art Politik-Tinder für das erste Deutschland Spricht im Jahr 2017. Über die zweite, noch größere Veranstaltung im darauffolgenden Jahr, über die Spin-Off-Formate mehrerer Medienhäuser in ganz Europa für My Country Talks – 13 nationale Veranstaltungen bislang. Bis zu diesem paneuropäischem Experiment mit ungewissem Ausgang im Vorfeld der Europawahl am 26. Mai

“Sie haben ein interessantes Date heute”, richtete sich danach Michelle Müntefering (SPD), Staatsministerin für internationale Kultur- und Bildungspolitik im Bundesaußenministerium, direkt an die 500 in Brüssel anwesenden Teilnehmerinnen. Und sagte, nachdem sie vor “destruktiven Antagonisten” gewarnt hatte, die die Zukunft Europas stehlen wollten und die Demokraten zu mehr Lautstärke und Mut aufgefordert hatte, etwas, das vielleicht paradigmatisch für das Format stehen kann: dass nationale Antworten heute nicht mehr ausreichten.

Wir sind nicht wegen unserer Geschichte zusammen, sondern wegen unserer Zukunft.

Jeremy Cliffe, Journalist bei “The Economist”

Dass just solche nationalen, weil nur im nationalen Diskurs gebildeten Antworten durch einen Nachmittag wie diesen weniger werden könnten, betonte nach ihr indirekt der britische Journalist Jeremy Cliffe, indem er Europe Talks eine “phänomenale demokratische Übung” nannte. Gleichzeitig kritisierte Cliffe, Leiter des Brüsseler Büros von The Economist, viele Pro-Europäer für ihre andauernde Rückbesinnung auf die gemeinsame Geschichte und Vergangenheit des europäischen Kontinents. Denn zwar blicke Europa auf viel gemeinsam Prägendes zurück, doch die Krisen der vergangenen Jahre ließen sich nicht mit dem Berufen auf Tradition lösen. Einend sei etwas anderes: “Die harte Realität hält Europa zusammen, unsere gemeinsamen Herausforderungen. Wir sind nicht wegen unserer Geschichte zusammen, sondern wegen unserer Zukunft.” 

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