/Bohrmaschine: Zum Erwachsensein fehlte das Loch in der Decke

Bohrmaschine: Zum Erwachsensein fehlte das Loch in der Decke

Ihren Vater rief unsere Autorin meist nicht einfach so an – sondern vor allem, wenn sie Hilfe im Alltag brauchte. Bis sie selbst die Bohrmaschine in die Hand nahm.

Zahnseide benutzen, einen fetten Fernseher kaufen, keine Fotos von Freunden mehr an den Wänden haben. In dieser Reihe berichten wir von den Dingen, an denen wir erkennen, dass wir erwachsen sind. Und was das eigentlich bedeutet.

Es war an Weihnachten, kurz nachdem ich mit 19 ausgezogen war. Unter dem Baum standen unverpackt und ohne Schleife, wie oft bei den Geschenken meines Vaters, zwei schwarze Kisten. Darin lag etwas, das für mich aussah, wie eine Bohrmaschine, mit verschiedenen Aufsätzen dazu. “Ein Akku-Bohrschrauber, schön handlich und klein”, sagte mein Vater. “Lässt sich leichter bedienen als eine Schlagbohrmaschine.” Die zweite Kiste war eine Werkzeugkiste, unter anderem mit acht verschiedenen Zangen. Er schaute mich erwartungsvoll an. Ich wusste nicht einmal, was ich mit einer einzigen anfangen sollte.

“Ähm, danke?”, antwortete ich verwirrt. Ich wollte meinen Vater nicht kränken, aber Euphorie vortäuschen ging auch nicht. Das Geschenk war ein sehr praktisches – bloß nicht für mich. Mit praktischen Geschenken ist es unter 30 sowieso so eine Sache: Euphorisch sein ist bei von der Tante gestrickten Socken einfach schwieriger als bei Konzertkarten von der Lieblingsband. Und mit Werkzeug wusste ich noch wesentlich weniger anzufangen als mit gestrickten Socken.

Ich hatte keine Ahnung, was überhaupt der Unterschied zwischen einer Schlagbohrmaschine und einem Akku-Bohrschrauber sein sollte. Fest stand, dass ich keines von beidem bedienen wollte.

Die ernsten Aufgaben überließ ich meinem Vater

Wäsche waschen, ohne dass sich alles rosa färbt. Topfpflanzen am Leben halten. Pfannkuchen backen. Ikea-Möbel aufbauen. All das konnte ich schon lange, bevor ich auszog. Aber ein Loch für einen Dübel bohren? Regalbretter an der Wand befestigen, sodass sie nicht unter der Last von meinen vielen Bildbänden einbrachen? Da traute ich mich nicht ran. Auch, weil es eben lange sehr bequem war, die handwerklichen Aufgaben meinem darin sehr begabtem Vater zu überlassen und nur zuzugucken. Ich hämmerte dann daneben als Kind Bretter mit Nägeln aneinander oder schnitzte Figuren aus gesammelten Stöcken. Aber von den ernsten Aufgaben hielt ich mich fern.

Die ersten Jahre nach diesem Weihnachtsfest standen die Kisten mit Werkzeug und Bohrschrauber ungeöffnet im Flurschrank meiner WG. Verdeckt von Staubsauger, Schlafsack und Schuhkartons. Nur einmal machte ich mir die Mühe, den Hammer herauszukramen, um einen Nagel in die Wand zu schlagen und ein Bild aufzuhängen. So eine Kleinigkeit wollte ich mir in der eigenen Wohnung dann doch nicht mehr abnehmen lassen, auch wenn ich mir dabei zweimal auf den Daumen schlug.

Wenn es etwas zu bohren und schrauben gab, wartete ich, bis mein Vater zum nächsten Mal zu Besuch kam – auch wenn das Monate dauern sollte. Dann brachte er Regale an der Wand an und ich fragte, ob der Bilderrahmen, den ich aufgehängt hatte, auch seiner Meinung nach gerade hing.

Als ich klein war, war mein Vater meine lebende Sendung mit der Maus. Er erklärte mir die Welt, ich hörte staunend zu. Woher Geld kommt, warum sich Politiker streiten und warum bei unserem Urlaub in Marokko die Menschen auf Teppichen beteten.

Diese Zeiten waren vorbei.

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