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Biennale: Eine schwierige Beziehungskiste

Es ist schon eine Weile her, über 50 Jahre, um genau zu sein, da prägte
Umberto Eco einen Begriff, der wunderbar frei und entfesselnd klang, nach einem Aufbruch ins
Unbestimmte. Eco sprach von der
“opera aperta”,
vom offenen Kunstwerk. Diese
Offenheit konnte einem vorkommen wie ein Haus ohne Türen und Fenster. Auf charmante Weise
zugig, denn alle dürfen sich eingeladen fühlen, dieses Haus möglichst komfortabel
herzurichten, den eigenen Sinn mitzubringen und die Bude mit Bedeutung zu möblieren. Das
offene Kunstwerk, eine Beziehungskiste.

Nichts anderes als eine solche Kiste, größer als jede andere, ist die Biennale in Venedig, die alle zwei Jahre die Offenheit der Kunst noch ein wenig weiter öffnen will. Auch jetzt wieder: Ausstellungen, wohin das Auge schaut, Abertausende Bilder, Filme, Installationen, und alle wollen sie das Publikum am liebsten ganz für sich. Sie blinken und funkeln, setzen sich dick in Szene, damit ja niemand unbehelligt weiterzieht. Je offener das Werk, umso dringender verlangt es nach Beachtung, das scheint eine Art ästhetisches Grundgesetz zu sein. Weshalb der oberste Biennale-Leiter, in diesem Jahr der Kurator Ralph Rugoff aus London, vorgeschlagen hatte, möglichst viele Feldbetten in den Sälen aufzustellen. Das Publikum sollte sich vom Beziehungsstress namens Kunst kurz erholen können. Am Ende wurde nichts daraus. Leider, muss man sagen. Ein wenig schummrige Besinnung wäre nicht schlecht gewesen.

So radikal, ja hemmungslos wie kein anderer Biennale-Leiter der letzten Jahre verzichtet Rugoff auf jede Art von Halt und Orientierung. In seiner
opera aperta,
den beiden Hauptausstellungen der Biennale, stehen nicht nur Fenster und Türen offen, es gibt auch kein Dach, keine Wände, keinen Überbau. Hatten andere Kuratoren noch geglaubt, sie müssten der Gegenwart einen roten Faden geben, um daran sämtliche Welt- und Kunstprobleme aufzuziehen, mag Rugoff die Biennale nicht als Belehrungsinstitut begreifen. Er will auch nicht, wie sonst bei solchen Ausstellungen üblich, das Publikum mit politischen Großweisheiten zudröhnen oder längst vergessene Künstler aus dem Archiv der Moderne hervorzaubern. Lieber zeigt er ein munteres Durcheinander: Als folgte er dem alten Motto des Dichters Lautréament, ist seine Biennale so schön wie das “zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch”.

Da tragen Schaufensterpuppen Kleider aus Badezimmerkacheln (Zhanna Kadyrova). Da hängen rostige Ketten von der Decke, die in bernsteinfarbenes Harz getunkt wurden (Yu Ji). Da werden gehäkelte Anemonen gezeigt (Christine und Margaret Wertheim), ein zersägtes Motorrad (Alexandra Bircken) oder auch schwarze Müllsäcke aus Marmor (Andreas Lolis). Dazwischen eine lebensgroße Plastikkuh, die auf Schienen im Kreis herumfährt (Nabuqi).

Das alles wird von Rugoff mit größter Selbstverständlichkeit zusammengedrängt. Hat man es auf der Venedig-Biennale sonst oft erlebt, dass die Künstler je einen eigenen Saal bekamen, müssen jetzt selbst Kunstwerke, die rein gar nichts miteinander zu schaffen haben, in drangvoll dichter Nachbarschaft miteinander auskommen. Denn vor allem in dieser Nähe des Ungleichartigen, in der Allverträglichkeit des Disparaten, liegt für Rugoff die eigentliche Bedeutung seiner Biennale. Sie ist ein Schau- und Schutzraum überbrodelnder Pluralismen. Ein Ort der exzessiven Ambivalenz, während draußen, im echten Leben, die Populisten nach Ein- und Abgrenzung rufen und einfache Wahrheiten verheißen.

Allerdings hat Rugoff mit seinem Plädoyer fürs Diverse keineswegs nur die Trumps, Gaulands oder Salvinis dieser Welt im Sinn; er meint auch den identitätspolitischen Populismus des Kunstbetriebs, was sich schon daran zeigt, dass er einem prominenten Opfer dieser Populisten die Bühne bereitet. Jimmie Durham bekommt sogar den großen Ehrenpreis der Biennale verliehen. Der Künstler hatte sich bereits vor Jahrzehnten für die Rechte von amerikanischen Minderheiten eingesetzt, für die der Cherokee beispielsweise. Und er war in seiner Kunst der eigenen Begeisterung für die Formensprache indigener Völker gefolgt. Dennoch traf ihn kürzlich ein heftiger Bannstrahl. Einige Künstler, selbst Angehörige der Cherokee, warfen Durham vor, er habe sich an ihrer Kultur vergangen, in ihm fließe nicht das wahre, das echte Blut der Indigenen, und also sei auch seine Kunst ein schlimmer Fake. Dass Rugoff nun ausgerechnet diesen “Fake” hochleben lässt im Zentrum seiner Biennale, darf man als Zeichen verstehen: gegen jedes Reinlichkeitsdenken, das die Kunstwelt nach Geschlecht, Hautfarbe oder Abstammung sortieren will.

Umgekehrt heißt das nicht, dass es in dieser Ausstellung keinen Raum für die drückenden Fragen nach dem Eigenen gäbe. Rugoffs Liberalität führt nicht in die politische Windstille, sie hütet sich nur vor allzu schlichten Wahrheiten. Besonders deutlich wird das in der Malerei, die gewöhnlich auf solchen Ausstellungen kaum vorkommt, hier aber einen starken Auftritt hat. Erstaunlich viele dieser Bilder erzählen vom schwarzen Widerstand, von Aufruhr oder alltäglicher Erniedrigung, und es gelingt Künstlern wie Michael Armitage oder Njideka Akunyili Crosby, ihre Werke so offenporig und vielschichtig zu halten, dass man sich nicht von ihnen agitiert fühlt, sondern im Gegenteil mit ihnen in die Beziehungskiste steigt. Man fühlt sich gemeint und eingeladen, den Bildern nachzugehen, irgendwo tief drinnen im eigenen Kopf, wo sie ihr Eigenleben zu führen beginnen.

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