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Verkehrspolitik: Platz da!

Die Kleefelder Straße in Hannover ist eine schmale Straße am Rande des
Zooviertels. Hier pendeln viele Menschen mit dem Rad an Wohnhäusern entlang, morgens zur
Arbeit und abends zurück. Eine davon ist LaSuze. So nennt sie sich auf Twitter. Ihr richtiger
Name ist der
ZEIT
bekannt, in der Zeitung soll er aber nicht erscheinen. LaSuze will
nicht wieder mit Prügeln bedroht werden, so wie damals, als sie mitten auf der Kleefelder
Straße vom Rad abstieg und stehen blieb.

Zum Gespräch kehrt LaSuze noch mal an diesen Ort zurück, der für alles steht, was schiefläuft
in der deutschen Großstadt. Wieder ist sie mit dem Rad da, einem mattschwarzen Bergamont mit
einer verchromten Klingel am Lenker. Sie sei damals zur Arbeit gefahren, erzählt die
Mittvierzigerin, als ein orangefarbener Kleinlaster in die Kleefelder Straße bog und direkt
auf sie zukam. Beide wurden langsamer. Und weil sie auf der engen Fahrbahn nicht aneinander
vorbeipassten, blieben sie schließlich stehen. Nase an Nase. Keiner rührte sich.

Der Kleinlaster wollte nicht bis zur Kreuzung zurücksetzen. LaSuze wollte ihr Rad nicht auf
den Gehweg heben. “Nach zehn Minuten”, sagt sie, “habe ich ein Foto gemacht und es
getwittert.” Die Reaktionen waren heftig. Man konnte nur für LaSuze sein oder gegen sie. “Die
denken, nur weil sie im Auto sitzen, haben sie mehr Rechte. Ich hätte es genauso gemacht”,
schrieb einer. Ein Gegner tobte: “Manch anderer hätte dich längst vom Fahrrad geschlagen für
so viel Blödheit.”

Bald wüteten Hunderte auf Twitter, derweil standen LaSuze und der Kleinlaster einander
schweigend gegenüber – wie zwei Revolverhelden im Western. Erst nach 45 Minuten entschied sich
die Sache.

Nicht nur in Hannover wird es heißer. Auch in vielen anderen Städten verschlechtert sich die
Atmosphäre. Wo Raum und Ruhe sein könnten, herrscht Enge und Krawall. Jede Gruppe macht die
andere als Schuldige aus.

Da werden Autofahrer als Hauptschuldige des Klimawandels angeprangert, die unbedingt mit
Fahrverboten oder CO₂-Steuern überzogen werden sollten. Umgekehrt müssen sich Radfahrer
anhören, sie betrachteten Verkehrsregeln allenfalls als unverbindliche Empfehlung. Das Gesetz
des öffentlichen Raums wird derzeit neu ausgehandelt und sogar mit den Fäusten
durchgesetzt.

In Oldenburg blockierte ein Autofahrer den Radweg, um einen Radler abzupassen, über den er
sich geärgert hatte. Die beiden lagen prügelnd neben der Fahrbahn, als jemand die Polizei
rief.


35


Euro


muss zahlen, wer sein Auto im absoluten Halteverbot parkt und andere dadurch behindert.

In Berlin fuhr ein Radfahrer auf dem Fußweg einen 75-jährigen Rentner über den Haufen, der
nicht schnell genug beiseitesprang. Dann trat er ihn gegen den Kopf und flüchtete.

In Augsburg stoppte ein Fußgänger ein Auto auf der Straße, trat gegen die Tür. Als der Fahrer
das Fenster öffnete, schlug ihm der Passant mit der Faust ins Gesicht.

All das geschah binnen weniger Wochen. Ähnliche Fälle dokumentieren Polizeiberichte überall
im Land. Autofahrer schlägt Radfahrer schlägt Fußgänger schlägt Autofahrer. Und wenn sie nicht
prügeln, dann hupen, schimpfen, drängeln sie. Jeder gegen jeden.

Acht von zehn Deutschen, fand der Verein Verkehrssicherheitsrat heraus, betrachten Aggression
als typisches Kennzeichen des Straßenlebens. Wut und Zorn gehören zum Stadtbild wie Blumen zum
Frühling. 53 Prozent aller Befragten meinen, dass die Aggression in der jüngsten Vergangenheit
zugenommen habe. Aus Verkehrsteilnehmern sind Autoidioten, Kampfradler und Handy-Zombies
geworden, die mit dem Display vor Augen quer über die Straße latschen. “Fleischbremse” ist
eine zynische Umschreibung für jeden, der nicht motorisiert unterwegs ist.

Der Verkehrspsychologe Jens Schade von der TU Dresden untersucht seit Langem das Verhalten
der mobilen Gesellschaft. “Aggression auf der Straße ist auch die Folge eines
Verteilungskampfes”, sagt er. Denn die meisten da draußen kämpfen nicht um ihr Recht oder ums
Prinzip – sondern um eine knappe Ressource: den Raum. Vor allem in Großstädten. Es ist die
kaum beachtete, aber logische Folge der städtischen Nachverdichtung.

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