/Ost-West-Unterschiede: “Ich dachte: Gott, ist das heftig”

Ost-West-Unterschiede: “Ich dachte: Gott, ist das heftig”

Sie sehen sich zum ersten Mal, schütteln sich in der Redaktion von ZEIT ONLINE die Hände und posieren dann für ein gemeinsames Foto. Kerstin Stüssel und Stephan Richter sind unserem Community-Aufruf gefolgt und haben uns geschrieben, warum sie in den Jahren nach der Wende umgezogen sind: sie, eine Westdeutsche, nach Ostdeutschland. Er, ein Ostdeutscher, nach Westdeutschland.

ZEIT ONLINE: Frau Stüssel, Sie sind in den Neunzigern von Köln nach
Dresden gezogen. Herr Richter, Sie sind in Ostberlin aufgewachsen und in den
Neunzigern ins Rheinland gezogen. Sie beide haben nach der Wende die Seiten
getauscht. Was hat Sie jeweils nach Ost- und Westdeutschland geführt?

Kerstin Stüssel: Ich war Anfang der Neunziger als promovierte
Literaturwissenschaftlerin in Köln, hatte Überbrückungsjobs und die Fühler nach
einer länger befristeten Stelle ausgestreckt. 1994 hätte ich dann plötzlich nach Berlin, Magdeburg und Dresden gehen können. Es wurde schließlich eine befristete Stelle
als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Dresden, und es ging alles sehr
schnell. Ich habe die Zeit noch mal in meinem Tagebuch nachgelesen: Wohnung
finden, sich beruflich akklimatisieren, das war ungeheuer intensiv und
aufregend. Auch mühsam, weil wir in der Wohnung noch kein Telefon hatten und an
der Fakultät ein abgewracktes Gebäude bespielten. Und ich war im dritten Monat
schwanger.

ZEIT ONLINE: Hat Ihre Herkunft in Dresden eine Rolle gespielt?

Stüssel: Klar. Bei den Ärzten, wenn es um
Schwangerschaftsuntersuchungen ging. Da war ich im Vergleich zu den Frauen in
Dresden mit 32 ja sozusagen spätgebärend. Und an der Uni gab es eine gewisse
Skepsis, weniger bei den Wissenschaftlerkollegen als bei den Sekretärinnen. Die
fanden das zum Beispiel merkwürdig, dass ich gesagt habe: Ich will sofort wieder
arbeiten, wenn das Kind da ist. Wahrscheinlich, weil damals in Dresden ein Jahr Erziehungsurlaub
üblich war.

ZEIT ONLINE: Wann haben Sie sich westdeutsch gefühlt

Stüssel: Es war ungewohnt, zum Telefonieren mit der Familie in die
Telefonzelle um die Ecke zu gehen. Es war auch manchmal kompliziert, essen zu
gehen. Man dachte: “Jetzt willste mal zum Italiener”, und dann gab es da
vielleicht zwei, drei. Und in die gingen natürlich alle Wessis. 

ZEIT ONLINE: Die Stadt war noch unaufgeräumt, oder?

Stüssel: Ja, da gab es wilde Brachen und merkwürdige Gerüche. Die
Frauenkirche war noch in Trümmern, da lagen die Steine aufgestapelt in Regalen.

ZEIT ONLINE: Und wie kamen Sie, Herr Richter, im Westen an?

Stephan Richter: Ich hatte mich 1998 auf eine Zeitungsannonce von General Electric beworben. Eines Morgens klingelte das Telefon: “Hier ist ein Platz für
dich frei.” Da habe ich begriffen: Jetzt geht’s ins Rheinland. Ich bin
hingefahren, habe an einem Tag acht Häuser angeguckt und bei einem sofort zugeschlagen.
Dann bin ich mit meiner Familie Knall auf Fall umgezogen und wurde IT-Direktor.
Von meinem Büro hatte ich eine wundervolle Aussicht auf Düsseldorf, die Fleher Brücke.
Ich dachte: Jetzt bist du angekommen.

ZEIT ONLINE: Was war anders?

Richter: Die westdeutsche Umgebung, ländlicher und ruhiger. Es gab dort
weniger Bezug zur Wende als in Berlin. Man war ja 600 Kilometer vom Schuss. Ich
hatte einen südafrikanischen Chef, einen holländischen Chef und eine englische
Chefin, die zeigten mehr Interesse an 1989 als meine deutschen Kollegen.

ZEIT ONLINE: Warum?

Richter: Viele in der Firma schauten damals nüchterner auf die
Wiedervereinigung
, weniger euphorisch. Ende der Neunziger hatten wir den
Anstieg der Arbeitslosigkeit und seine Nebeneffekte hinter uns, es ging die
Ossi-Wessi-Diskussion los. Plötzlich wurden vorwiegend Probleme diskutiert.

ZEIT ONLINE: Hatten Sie Vorurteile, bevor Sie umgezogen sind?

Stüssel: Sicher. Im Osten ist man ein bisschen spießig, piefig, das
waren die Vorurteile. Ich bin in Dresden immer mit meinem Doktortitel
angesprochen worden und habe mich klammheimlich sehr darüber gefreut. Im Westen
war das nicht mehr angesagt, etwas auf akademische Titel zu halten.

Richter: Dresden war das Tal der Ahnungslosen, weil man dort vor
der Wende kein Westfernsehen bekam.

Stüssel: Das wusste ich. Aber was das genau heißt, habe ich damals
nicht verstanden. Dass dort auch ein riesiger Lokalpatriotismus herrscht und es
eine Sachsen-Preußen-Konfliktlinie gibt, bekam ich natürlich mit …

ZEIT
ONLINE:
… wobei: Lokalpatriotismus kannten Sie aus Köln. 

Stüssel: Ja, und als evangelische Ostwestfälin findet man den
Kölner Karneval furchtbar. Aber dieses Blicken in die Vergangenheit, wie es das
in Dresden gibt – vor der Bombardierung, vor der Zerstörung, was ist noch da? –,
merkt man in der ganzen Stadt. Einmal habe ich einen Kollegen nach dem Boofen
gefragt, dem Freiübernachten in der Sächsischen Schweiz, wo ich ab und zu
wandern war. Ich wollte wissen, ob man in bestimmten Felslöchern übernachten
kann. Und er sagte, halb im Jux, halb im Ernst: Das erfährt man erst, wenn man
in der dritten Generation aus Dresden ist.

Richter: Ein elitärer Kreis?

Stüssel: Schon. Aber wahrscheinlich hätte jemand aus
Nordostdeutschland ähnliche Schwierigkeiten oder Effekte erzeugt.

ZEIT ONLINE: Was war denn dann piefig?

Stüssel: Dass man die Schuhe vor der Tür auszog und möglicherweise noch
Pantoffeln in die Hand gedrückt bekam, damit nichts dreckig wurde. Das empfand
ich als merkwürdig gewöhnungsbedürftig. Oder dass in der Gaststätte plötzlich
ein Männergesangsverein auftrat. Obwohl das gar nicht so lange her ist, das war
erst in den Nullerjahren. Was sich wirklich bestätigt hat, waren Vorurteile
über das Funktionieren von Kindergarten und Schulen. Wenn ich das mit meinen
Neffen und Nichten in Westdeutschland verglichen habe, die so alt sind wie
meine Tochter, herrschte im Osten in den ersten Jahren offenkundig noch ein
anderer, sehr autoritärer Durchgriff.

ZEIT ONLINE: Und bei Ihnen, Herr Richter?

Richter: Ich bin relativ vorurteilsfrei rübergegangen. In Berlin kannte
man auch Wessis. Da war man drauf gefasst, was kommen könnte.

ZEIT ONLINE: Zum Beispiel?

Richter: Überheblichkeit natürlich. Nach dem Motto: “Wir sind die
Wessis, ihr seid die Ossis. Ihr seid jetzt angeschlossen und jetzt sagen wir
euch, wo’s langgeht.” Selbst habe ich das allerdings kaum gespürt. Von den
Kollegen musste man sich ein paar Fragen gefallen lassen, aber das hat auch selbstbewusst
gemacht: eure Vorurteile gegen meine Erfahrung. Einmal sagte einer: Gestern
Abend kam bei Günther Jauchs Wer wird Millionär die Frage, wer die
DDR-Nationalhymne komponiert hat. Woher soll man so was wissen? Ich habe in die
Runde gefragt: Wer hat denn die bundesdeutsche Nationalhymne komponiert? Das
wussten die alle nicht. Wir haben uns dann gegenseitig abgefragt, erster
Kanzler, Gründung der Bundesrepublik und so weiter, und ich habe die anderen
geschlagen. Da fehlte nicht bloß das Interesse, sich mit einer untergegangenen
DDR zu befassen, sondern auch das für die eigene Geschichte.

ZEIT ONLINE: Ist die Unterscheidung in ost- und westdeutsch überhaupt
noch angemessen?

Stüssel: Unter den aktuellen Vorzeichen, gerade in
akademisch-intellektuellen Kreisen, wird die Osterfahrung wieder als sehr
spezifisch hervorgekehrt. Da sollen die Wessis plötzlich nicht mehr mitreden
können. Meine Tochter studiert im Westen und wenn sie anfänglich dort sagte,
sie komme aus Dresden, hörte sie manchmal blöde Sprüche.

ZEIT ONLINE: Sie haben uns vor dem Interview geschrieben, Sie fühlten
sich “ossifiziert”.

Stüssel: Das Wort habe ich aus der Literatur übernommen, das hat der
Schriftsteller Marcel Beyer erfunden. Natürlich passt man sich an. Als ich
später in Bonn eine Stelle angenommen habe, hatte ich zwar das Gefühl wieder im
Westen zu sein, aber nach der langen Erfahrung in Dresden auch ein Unikat. “Ossifizieren”
bedeutet auch “knöchern sein”, also starr, ein wenig unnachgiebig.

Richter: Hat es Ihnen genutzt?

Stüssel: Man muss aufpassen, dass man so was nicht zu irgendeiner
Supererfahrung stilisiert. Aber ich denke, dass ich in den gegenwärtigen
Diskussionen einen breiteren Erfahrungsschatz habe. Ich kenne den Osten besser
als viele Rheinländer, die sich nie für ihn interessiert haben. Vielleicht auch, weil ich während der
Wahnsinnsarbeitslosigkeit in den Neunzigern selbst noch nicht richtig im Job
drin war. Unsere Haushaltshilfe war Jahrgang 38. Sie war mit Mitte 50
arbeitslos und in den Vorruhestand geschickt worden. Da dachte man schon, mein
Gott, ist das heftig.

Richter: Das ist genau der Jahrgang meiner Mutter. Sie hat auch
ihren Job verloren. Eigentlich war das die Verlierergeneration: zu alt, um noch
mal neu anzufangen. 

ZEIT ONLINE: Finden Sie die Diskussionen verhärteter als noch vor 15
Jahren? Man redet wieder so viel über Ost-West.

Stüssel: Ich empfinde das so, ja. In Dresden natürlich auch wegen 2014,
2015 und Pegida. Manche Theorien besagen, dass Ereignisse erst mit einer
gewissen Verzögerung thematisierbar werden. Vielleicht stimmt das. 

Richter: Vielleicht hatten die Teile der ostdeutschen Bevölkerung,
die “abgehängt” wurden, plötzlich einen neuen Grund, aufzubegehren. Die Eliten
waren abgewandert, eine überalterte Bevölkerungsmehrheit geblieben, gleichzeitig
hatte sich das industrielle Potenzial ausgedünnt. Plötzlich waren da strukturschwache
Regionen, in denen es die ganze Zeit eigentlich nur ein Thema gab: die Scheißwende,
die ihnen die Jobs genommen hat. Und dann fand man Gleichgesinnte, die ähnlich
impulsiv auf die Flüchtlingssituation reagierten – und ein neues Thema: Flüchtlinge. 

Stüssel: Dieses Gefühl, die Wende halbwegs hingekriegt zu haben, und
dann wird einem von oben zugemutet, was man nicht haben will. Dieses
Wahrnehmungsproblem: Innerhalb von 30 Jahren macht keine Gesellschaft so was
zweimal mit – ich glaube, so etwas steckt dahinter.

Richter: Die DDR war eben gut organisiert. Die Leute hatten ein
strukturiertes Leben und die Erwartung, arbeitslos zu werden, war null.

ZEIT ONLINE: Nahm die Euphorie im Westen und Osten gleich schnell
ab? 

Richter: Anfang der Neunziger wich die Euphorie Neid und Besorgnis.
Viele Wessis hatten Angst, dass ihnen die Arbeitsplätze weggenommen würden. Viele
Ossis haben gemerkt, dass der Arbeitsmarkt allmählich übersättigt war.

Stüssel: Ich habe immer gesagt, Helmut Kohl hätte eine
Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede halten müssen. Weil es immer so war: “Ja, wir
machen das jetzt und geben da jetzt Geld rein und wir haben den
Solidaritätszuschlag, aber so richtig interessieren tut uns das nicht.” Ich persönlich
hatte Angst, dass meine früheren Kommilitonen mich völlig vergessen. Ich war –
bis auf einen – die Einzige, die im Osten gelandet war.

ZEIT ONLINE: Als die Mauer fiel, was haben Sie da eigentlich
gedacht?

Stüssel: Ich fand das großartig. Ich fuhr gerade von Köln nach
Bielefeld und habe alles im Autoradio einer Mitfahrgelegenheit gehört. Meine
Eltern hatten zufällig geplant, nach Westberlin zu fahren, weil mein Stiefbruder
in Westberlin studierte, und ich habe sofort gesagt: Ich fahre mit.

Richter: Wir hatten Freunde zu Besuch und gekocht. In der Zeit
hatte man den Fernseher an, weil ja ständig getagt wurde, und da haben wir den
Schabowski gesehen mit seinem Zettel. Wir haben das erst mal zur Kenntnis
genommen, okay, jetzt Reisefreiheit und so, und dann in Ruhe zu Ende gegessen. Es
muss ziemlich warm gewesen sein an dem Abend, weil wir das Fenster offen und
draußen das Gejohle gehört hatten.

ZEIT ONLINE: Kam Ihnen die Wiedervereinigung zu schnell?

Richter: Kohl hat Druck gemacht, dass es auf die Wiedervereinigung
hinausläuft. Es gab damals gefühlt keine Alternativen. Niemand hat darüber diskutiert,
ob man der DDR eine Legitimation lässt.

ZEIT ONLINE: Sie meinen einen eigenen Staat ohne Diktatur?

Richter: Konföderation oder was immer.

Stüssel: Oder eine gemeinsame verfassungsgebende Versammlung.

Richter: Wenn man sich heute ansieht, wer an dem Einigungsvertrag mitgewirkt
hat, war da wenig zu spüren von einem selbstbewusst beitretenden Staat. Die
Leute, die auf DDR-Seite mitspielten, konnten nicht viel einbringen oder beugten
sich dem Mainstream. Es war eben Fakt, dass wir uns jetzt vereinigten und die
Zeit knapp war. Die kurz aufflammende Diskussion über eine Nationalhymne etwa,
die ich interessant fand – das alles war schnell erledigt.

ZEIT ONLINE: Im Osten stehen in diesem Jahr drei Wahlen an. Wie
schauen Sie auf die?

Stüssel: Was Sachsen angeht, bin ich extrem entspannt. Im Ernst:
Ich finde es beängstigend, dass es in der CDU offenbar Leute gibt, die eine
Koalition mit der AfD für denkbar halten. Ich werde gerade ziemlich auf die
alte Bundesrepublik zurückgeworfen, weil ich denke, jetzt müssten noch mal die
demokratischen Institutionen begründet und starkgemacht werden. Ich lasse mir ungern
vorwerfen, die Bundesrepublik sei ein Staat, in dem die Medien nicht frei seien. 

Richter: Lügenpresse.

Stüssel: Oder dass durch eine große Koalition eine bestimmte
Einstimmigkeit oder fehlende Varianz in der Oppositionsbildung herrsche. Das
ist sicherlich richtig, aber doch kein grundsätzlicher Einwand in das
Funktionieren des parlamentarischen Systems.

Richter: Aus meiner Sicht ist die Wahl unberechenbar, in allen drei
Ländern. Die etablierten Parteien tun kaum etwas, um den Rechtsruck und den zu
erwartenden Rechtsruck anzugehen. Sie werden aufpassen müssen, dass der
Einheitswille nicht weiter abnimmt.

ZEIT ONLINE: Und wenn “Gesamtdeutschland” solche Widersprüche aushalten
muss? In Hamburg hält man es auch aus, dass die in Bayern ganz anders sind.

Richter: Die Unterschiede zwischen den Bundesländern oder Nord und
Süd oder Preußen und Bayern waren bisher eher graduell, fast intellektuell. Hier
aber manifestiert sich eine gefährliche Mischung. Ich habe Kunden in der
Region, mit denen man besser nicht mehr diskutiert. Manche fahren ihre Kinder jetzt
zur Schule, damit sie nicht zu Fuß am Flüchtlingsheim vorbeimüssen.

Stüssel: Na ja, wenn ich in Dresden an meinem Laubegaster Ufer
spazieren gehe oder in meiner Nachbarschaft unterwegs bin, die heterogen ist, denke
und hoffe ich inständig, dass da keine unüberbrückbaren Gräben entstehen.

ZEIT ONLINE: Was halten Sie von der Ostquote, die gerade gefordert
wird?

Stüssel: Mit Quoten verhakelt man sich, weil man dann fragen muss,
was Trumpf ist. Ist Frauenquote Trumpf? Ostquote? Meine Tochter müsste dann
von der Ostquote profitieren, was natürlich Quatsch wäre. Ihre Eltern kommen schließlich
aus dem Westen.

Richter: Eine Quotierung würde neue Ungerechtigkeiten schaffen. Man
muss sich stattdessen fragen, warum es eine Quote braucht. Im Osten gibt es 83
Prozent Originalossis, aber die besetzen nur 23 Prozent der Führungspositionen.
Da wurden bestimmte Westeliten geschaffen, die andere Möglichkeiten hatten,
sich zu entwickeln. Da hilft auch der Vorwurf nicht, die Ossis hätten mehr tun
müssen, um nach vorne zu kommen.

ZEIT ONLINE: Und was kann der Westen vom Osten lernen und umgekehrt? 

Stüssel: In Westdeutschland sollte man sich mehr mit der
osteuropäischen Erfahrung auseinandersetzen, mit den neuen Bundesländern
genauso wie mit Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Im Osten wünschte man
sich etwas mehr politische Bildung, in dem Sinn, wie ich es bereits gesagt habe:
die Institutionen in ihren Grenzen ernst nehmen, den Rechtsstaat in seinen
formalen, im Einzelfall womöglich als problematisch empfundenen Strukturen. Man
muss dann sagen: Wenn ein Flüchtling ein Verbrechen begeht, ist das Sache der Polizei
und der Justiz. Punkt. Aus. Ende.

Richter: Jede Seite sollte sich kulturhistorisch mit der anderen
Seite befassen. Und das weniger polemisch als bisher.

Stüssel: Ich weiß nicht, ich habe da die Fernsehprojekte vor Augen,
mit denen man versucht, die DDR nicht nur als Politik-, sondern als
Alltagsgeschichte aufzuarbeiten. Weissensee, Verfilmungen von diesen und
jenen Romanen. So richtig scheint mir das nicht gelungen zu sein. Und es gibt
interessanterweise wenig Westpendants. Wie war mein Leben in den Sechzigern,
Siebzigern im Westen? Da gibt es viel weniger und eher versteckt. Im Grunde ist
das wie mit den Männern und den Frauen. Die Frauen denken immer über ihr
Geschlecht nach. Die Männer eher weniger. Oder erst, wenn sie drauf gestoßen
werden.

Dieser Artikel ist Teil des ZEIT-ONLINE-Schwerpunktes “Die große Wanderung” aus unserem neuen Ressort X. Eine Auswahl weiterer Schwerpunkte finden Sie hier.

Interview: David Hugendick, Annabelle Seubert
Redigatur: Philip Faigle
Fotografie: Meiko Herrmann
Bildredaktion: Michael Pfister, Andreas Prost
Gestaltung & technische Umsetzung: Christoph Rauscher, Julian Stahnke, Julius Tröger

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