/Jamila Woods: Viele Farben Schwarz

Jamila Woods: Viele Farben Schwarz

Selbst die Musik- und Folkloreforscher des
frühen 20. Jahrhunderts können nicht mit Sicherheit sagen, wer den Song Black
Betty
geschrieben hat. Vielleicht der legendäre Bluessänger Lead Belly, von
dem einige bekannte Versionen des Stücks stammen. Vielleicht auch ein
befreundeter Farmarbeiter oder ein anderer Häftling aus jenen Sträflingskolonnen,
in denen Lead Belly Teile seines Erwachsenenlebens verbrachte. Unstrittig ist
nur, wer an dem Song verdient hat: zunächst die kurzlebige weiße Hardrockband
Ram Jam Ende der Siebzigerjahre, später die Krachleder-Tenöre Tom Jones und
Meat Loaf und noch etwas später Scooter.

Eigentlich wären Lead Belly und Black
Betty
deshalb ein Fall für Jamila Woods. Auf Legacy! Legacy!, dem
zweiten Album der Soulsängerin und Songwriterin aus Chicago, tragen alle zwölf
Lieder die Namen von afro- und lateinamerikanischen Musikerinnen,
Schriftstellern und Aktivistinnen. Es gibt Stücke über umfassend kanonisierte Künstler
wie James Baldwin, Jean-Michel Basquiat oder Frida Kahlo, aber ebenso über
Autorinnen wie Zora Neale Hurston und Octavia Butler, die bis heute nur in
eingeweihten Kreisen gewürdigt werden. Ein Song namens Betty ist auch
dabei, handelt allerdings von der Funksängerin Betty Davis und ihrer kurzen,
durch Gewalt, Betrug und musikalische Aufbruchstimmung geprägten Ehe zu Miles
Davis
.

Trotzdem kann man sagen: Auf Legacy!
Legacy!
geht es immer auch um Songs wie Black Betty. Um das Vermächtnis
von vergessener oder entwendeter schwarzer Kunst und ihre Vereinnahmung durch
weiße Kulturschaffende, Hörer und Geschäftemacher. “Die Rolling Stones haben
als Coverband für schwarze Musik angefangen”, sagt Woods Ende März im Interview
in einem Berliner Hotel. “Davon profitieren sie bis heute auf eine Weise, die für
schwarze Künstler unvorstellbar ist, wenn sie nicht gerade Jay-Z oder Kanye
West
heißen. Als Afroamerikanerin denke ich gar nicht darüber nach, wie ich
Vermächtnis zu Geld machen könnte. Das wäre Zeitverschwendung.”

Woods geht es darum, ihren Namen neben ein
paar anderen im kulturellen Gedächtnis der Welt zu verankern. Sie bezeichnet Legacy!
Legacy!
als Geschichtsprojekt nach westafrikanischer Tradition und sieht
sich selbst in der Rolle eines Griots, der eigene Geschichten und die seiner
Weggefährtinnen in mündlicher Form überliefert. Oft müssen sich diese
Geschichten gegen konkurrierende weiße Geschichten behaupten, und fast immer
werden Letztere mit lauteren Megafonen erzählt. Woods weiß das seit ihrer
Kindheit in einer überwiegend weißen Gegend auf der South Side von Chicago. “Als
ich die Highschool abschloss”, sagt sie, “war Kunst für mich gleichbedeutend
mit Dingen, die tote weiße Männer tun.”

Kein Lehrplan der Welt hätte Woods damals
auf die Idee gebracht, selbst Künstlerin zu werden. Dass sie heute trotzdem zu
den drei schwarzen Musikerinnen im Portfolio ihrer Plattenfirma Jagjaguwar gehört,
verdankt sie einem außerschulischen Schreibworkshop, der sie mit Gedichten
schwarzer, lokaler und zeitgenössischer
Autoren bekannt machte. Woods selbst ist inzwischen künstlerische Leiterin des
Programms und übersetzt ihre darin gesammelte Erfahrungen in die Songs auf Legacy!
Legacy!
. Das Album fügt sich ein neben Marvin Gaye, Stevie Wonder
und Erykah Badu in den Kanon der pädagogisch wertvollen Soulmusik.

Dabei lässt Woods ihre Muskeln selten so
eindeutig spielen wie im Stück Miles, dessen bauchiger Groove direkt aus der elektrisch verstärkten Funkphase seines Namensvetters Miles Davis übernommen
zu sein scheint. Oft beschränken sich die Rückversicherungen bei ihren Vorbildern auf
atmosphärische Details, Gesten, einzelne Worte. Zwischen gediegenem
Bandbesetzungssoul, weich gezeichneten Hip-Hop-Beats und sogar einem
Rap-Rock-Versuch geht es Woods weniger um Heldenverehrung als um die
Erforschung ihrer eigenen künstlerischen Identität. Legacy! Legacy! ist
auch eine alternative Geschichtsschreibung der Popmusik aus schwarzem
Blickwinkel. Aber die erzählt sich nebenher, wie von selbst.

Hits: 14