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Fake-News: Lügen sind Teil der Demokratie

Wussten Sie schon, dass in Spanien Ausländer, obwohl sie nur
zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, die Mehrzahl aller Vergewaltigungen
begehen? Oder dass Marokko Spanien zu erpressen versucht hat, nach dem Motto: freie
Bildung für Marokkaner, sonst unternehmen wir nichts gegen die illegale
Einwanderung? Oder dass Pablo Iglesias, Generalsekretär der linken Partei
Podemos, eine Schwäche für den Hitlergruß hat? Das sind nur einige der Lügen,
die rechte spanische Netzwerke mittels
frei erfundener Nachrichtenmeldungen und manipulierter Bilder an 1,7 Millionen Menschen auf Facebook
verbreitet hatten, bevor sie im vergangenen Monat kurz vor den spanischen
Parlamentswahlen
von einer auswärtigen Watchdog-Organisation aufgedeckt wurden.

Bekanntlich hat es die Wahrheit schwer in diesen Tagen, zumal
im politischen Leben. Von Wahlkampfreden bis zu Newsfeeds in den sozialen
Medien blühen und gedeihen Fehlinformation, Desinformation und gezielte
Lügen. Schlimmer noch: Nicht wenige Kommentatoren teilen die Ansicht, dass es
viele von uns gar nicht mehr zu kümmern scheint. Wir sind weniger an der
Richtigkeit von Informationen interessiert als an emotionaler Genugtuung oder
einfach daran, zu gewinnen – ein Zustand, in dem die Demokratie leicht in
Autoritarismus abrutschen könnte.

Bislang waren die USA der Ort, an dem sich
dieses Phänomen am häufigsten gezeigt hat. Präsident Trump und seine
Anhänger bedienen sich offenbar gern der
Verbreitung bewusster Verschwörungstheorien, der Rede von “alternativen
Fakten” oder der Leugnung von Forschungsergebnissen selbst der eigenen
Regierung. Inzwischen sind aber Demokratien überall auf der
Welt
betroffen – nicht zuletzt in Europa.

Ein Teil des Problems hat seinen Ursprung in Russland und
anderen autoritären Staaten: Cybertaktiken zur Einmischung in freie
Wahlen und die Verbreitung von Fake-News zur Schwächung der Demokratie sind zu
einer Form der internationalen Kriegführung geworden. Genauso viel
Unwahrheit verbreitet sich aber aufgrund kommerzieller Interessen in Demokratien
selbst, die USA nicht ausgenommen. So wissen wir mittlerweile, dass die
Soros-Mär, die von Ungarn aus in die Welt kam und den
linksgerichteten jüdischen Finanzier zu diskreditieren sucht, ursprünglich von einer
Washingtoner PR-Firma stammt. Bei ihrer Verbreitung geholfen haben diverse
technologische Plattformen mit globaler Reichweite. Darüber hinaus haben
Rechtsaußenparteien in Großbritannien, Frankreich, Deutschland
und auch Spanien ihre eigenen Lügen verbreitet. Viele wurden von Bürgern nachgebetet,
die sich entweder nicht die Mühe gaben, sie auf ihre Stichhaltigkeit zu
überprüfen, oder an selbiger gar nicht erst interessiert waren, weil es ihnen nur
um ihre emotionale Resonanz ging. Tatsächlich erscheint Europa besonders betroffen,
auch wenn Fehl- und Desinformationen noch keine Regierung in dem Maß geprägt
haben, wie das in den USA der Trump-Ära der Fall ist. Die große Sorge
heute ist die Welle an gefälschten Nachrichten, die in den kommenden Wochen vor den Wahlen zum Europäischen Parlament auf Europa zurollen dürfte.

Bevor wir aber zu
dem Schluss gelangen, dass wir womöglich in einem neuen Zeitalter des
“Postfaktischen”
leben, sollten wir Vorsicht walten lassen: Wir können die
Richtigkeit dieser Behauptung nur dann ernsthaft prüfen, wenn wir die tiefere
Geschichte der politischen Wahrheit freilegen. Und statt zu folgern, dass wir in
unseren Tagen eine ausgeprägte antidemokratische Neigung zur Unwahrheit
erleben, sollten wir zur Kenntnis nehmen, dass die Ursprünge unserer
gegenwärtigen Lage tatsächlich nahtlos mit dem Gewebe der modernen Demokratie verflochten
sind.

Das eigentümliche, für die ersten modernen Demokratien (oder
Republiken, wie sie sich ursprünglich nannten) charakteristische
“Wahrheitsregime” erwuchs unmittelbar aus dem Europa der Aufklärung. Im 18.
Jahrhundert erklärten Verfechter der Volkssouveränität wie Jean-Jacques Rousseau und Thomas Paine, Republiken hätten eine besondere Beziehung zur
Wahrheit. Während die Monarchien sich etwas auf ihre Heimlichtuerei und
Verschleierung zugutehielten, baue das neue Modell auf ganz andere Werten: Transparenz, überprüfbare Informationen und persönliche
Aufrichtigkeit. Die Wahrheit sei sowohl eine Grundlage, auf der die Demokratie
beruhe, als auch eines ihrer Resultate. Dieselben Männer hielten jedoch
daran fest, dass die Wahrheit völlig ergebnisoffen und undogmatisch bliebe.
Auch sollte keine Person, Institution oder Methode als ihre gültige Quelle
festgeschrieben werden – sie sei vielmehr ein Produkt der Gesellschaft.

Daher hat es in Demokratien immer heftigen Streit um
die Kontrolle darüber gegeben, was als Wahrheit oder Wissen zählt – und vor
allem, wer darüber bestimmen darf und mit welchen Mitteln. Insbesondere zwei Lager
haben von Anfang an versucht, das an sich zu reißen, was als
gemeinschaftlicher Prozess gedacht war. Und der Konflikt zwischen ihnen ist
nur größer geworden, seit sie beide in der Moderne stärker wurden.

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