/Doug Fitch: “Die Elbphilharmonie zwingt uns zur Improvisation”

Doug Fitch: “Die Elbphilharmonie zwingt uns zur Improvisation”

Geplant und gebaut
ist der Große Saal der Elbphilharmonie als ein Ort für Konzerte. Dieses
Wochenende führt das NDR Elbphilharmonie-Orchester mit seinem künftigen
Chefdirigenten Alan Gilbert dort die Oper “Le Grand Macabre” von Györgi Ligeti
auf: ein Stück absurdes Musiktheater über die letzten Tage der Welt. Opern im
Konzertsaal sind an sich nicht ungewöhnlich, bei dieser Produktion aber gibt es
ein Bühnenbild, Kostüme – und eine Inszenierung, die mit Trickfilm und
Puppenspiel arbeitet. Ein bemerkenswerter Aufwand. Die Hauptattraktion aber ist
ein Mann, der gar nicht auf der Bühne zu sehen sein wird: der Regisseur
Doug Fitch.

ZEIT ONLINE: Herr Fitch, Ihr Weg zeichnete sich früh
ab. Sie haben Puppenspiel, Violine und Tanz studiert. Wie kamen Sie darauf?

Doug Fitch: Als ich vier Jahre alt war, meldeten mich meine Eltern zum
Geigenunterricht an. So wie viele Vierjährige. Und so wie viele Vierjährige
fand ich die Idee, zu spielen und aufzutreten, viel toller als die Vorstellung,
zu üben. Da hatte mein Vater eine ziemlich brillante Idee: Er tat so, als ob er
Zeitung liest, und ließ eine kleine Puppe über den Zeitungsrand schauen und zu
mir sagen: Doug! Spiel’s noch mal! Come on! Noch mal! Noch mal!

ZEIT ONLINE: Hat das funktioniert?

Fitch: Es passierte etwas, das sich niemand so recht erklären kann. Ich sah die
Puppe, war völlig gebannt – und begann sofort, mir auch so eine Puppe zu bauen.
Keine Ahnung, woher ich wusste, wie das geht. Dann haben sich die beiden Puppen
unterhalten – das war der initiale Moment. So ging es dann weiter. Ich habe aus
allem, was ich fand, Gesichter gemacht, Gläser, Schränke, einfach alles.
Später, zu Highschoolzeiten, habe ich mit meiner Mutter und einer Freundin
eine Puppentheaterkompanie gegründet. Eine großartige Zeit. Ich habe die
Schule geschwänzt, um in anderen Schulen Vorstellungen zu spielen.

ZEIT ONLINE: Später haben Sie auch mit Jim Henson gearbeitet, dem Erfinder der Muppets.

Fitch: Ja, aber auch schon vorher ging ich komplett auf in dieser Welt, baute
Hunderte um Hunderte von Puppen, manche so klein wie mein Daumen, für andere
brauchte man gleich mehrere Spieler. Später saß ich sogar mit einer Puppe in
meinem Vorstellungsgespräch in Harvard.

ZEIT ONLINE: Und?

Fitch: Das Komitee hat nur noch mit der Puppe gesprochen (lacht). Eine Woche
nach meiner Aufnahme klingelte mein Telefon – und Peter Sellars rief an.

ZEIT ONLINE: Einer der wichtigsten
amerikanischen Opernregisseure.

Fitch: Er sagte: “Doug Fitch! Bist du das?” Und ich sagte: Äh, ja? “Dann bist
du der einzige andere Puppenspieler auf dem Campus, das heißt, wir müssen uns
sofort treffen.” Das war der Beginn einer langen Freundschaft. Er wusste nicht,
wie man Puppen baut, ich konnte das im Schlaf. Später haben wir den ganzen Ring des Nibelungen aufgeführt, mit Puppen aus Plastiktüten und
Toilettenpapier.

ZEIT ONLINE: Das klingt, als hätten Sie
als Kind angefangen, zu spielen und bis heute nicht wieder aufgehört.

Fitch: Ja, da ist was dran. Sehr vieles dreht sich darum, Geschichten, Figuren
und eigene Welten zu erfinden. Das ist bei Jim Henson übrigens auch so gewesen.
Er sagte oft: “Ich habe eigentlich nie aufgehört, zu spielen.” Und es zeugt von
großem Glück, das sagen zu können. Aber wissen Sie, was das Problem daran ist?

ZEIT ONLINE: Sagen Sie es uns.

Fitch: Niemand will Geschichten, die es noch nicht gibt. Ich werde oft gefragt,
was ich als nächstes tun will, ich sage dann: Lass uns etwas ausdenken. Aber
neue Geschichten lassen sich nicht so leicht verkaufen. Ich verstehe das, es
ist immer schwieriger, ein neues Publikum zu finden, als ein bestehendes
glücklich zu machen. Wenn ich sage, gut, lass uns Shakespeare machen – dann
gibt es sofort eine Vorstellung davon, wohin die Reise geht, auch wenn noch
niemand weiß, was am Ende dabei herauskommt. Aber wenn man sagt: Wir setzen
eine Gruppe Menschen in einen Raum und sagt, lasst uns zusammen eine Geschichte
ausdenken, funktioniert es nicht. Dabei ist es das, was ich am liebsten mache: ein komplett neues
Paralleluniversum zu erschaffen. Eines, dass bewirkt, dass wir genauer und
präziser auf die Welt blicken, in der wir leben. Und wir leben nun mal hier, ob
wir wollen oder nicht.

ZEIT ONLINE: Welche Arbeitsumgebung ist
Ihnen lieber – eine richtige, voll ausgestattete Opernbühne oder ein so
komplizierter Ort wie die Elbphilharmonie?

Fitch: Ich habe große Freude an Orten wie diesem. Wenn Menschen in die Oper
gehen, haben sie bestimmte Erwartungen – sie erwarten Perfektion, durch
und durch gestaltete Räume, nichts Unfertiges. Wir dagegen können nur mit
Andeutungen arbeiten. Wir laden die Zuschauer ein, sich auf bestimmte
Vorstellungen einzulassen und andere zu hinterfragen. Schauen Sie sich die
Orgel an: Ist das eine Orgel – oder ist es Walhalla? Ist das da oben die Decke
oder ist es ein Planet?

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