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Champions League: Das größte Fußballwunder seit 24 Stunden

Wie ging es aus?

Ajax Amsterdam – Tottenham Hotspur 2:3 (2:0)

1:0 Matthijs de Ligt (5.), 2:0 Hakim Ziyech (35.), 2:1, 2:2, 2:3 Lucas Moura (55./59./90.+6)

Wie lief das Spiel?

Abwechslungsreich ist gar kein Ausdruck. Zunächst stürmte Ajax. Eine erste Chance und dann ein schnelles Tor durch Matthijs de Ligt nach einer Ecke. Dann ein zweites Tor, wunderbar erspielt, es traf Hakim Ziyech, der Ball zischte ins Netz. Mit dem 1:0 im Hinspiel ergab das ein 3:0 zur Pause, also einen scheinbar komfortablen Vorsprung für Amsterdam. Allerdings sah man schon in der ersten Halbzeit, dass die Abwehr der Gastgeber Löcher in Maasdamerdimensionen aufwies.

Der zweite Durchgang wurde dann die Halbzeit von Tottenham Hotspur. Das erste Tor fiel durch einen Konter. Ja, tatsächlich. Das zweite hatte der kamerunische Ajax-Goalie André Onana eigentlich schon abgewehrt, doch als er sich auf den Ball warf, reagierte das runde Ding, keine Ahnung warum, wie ein Space Hopper, ein Hüpfball, er sprang weg. Tottenham traf im Nachsetzen. Und das Tor, das Sieger- und Verliererrollen ins Gegenteil verkehrte, fiel in allerletzter Sekunde. Fünf Minuten Nachspielzeit waren angezeigt worden, nun las man 90.00 + 5.01 auf der Uhr. Kann sein, dass der gute Schiri Felix Brych ohnehin noch ein bisschen länger hätte spielen lassen, aber dieser Zeigerstand unterstrich die besondere Dramatik dieses aufregenden Spiels, in dem noch mehr Tore hätten fallen können, etwa bei Pfosten- und Lattentreffern auf beiden Seiten. Man wird sich daran erinnern.

Wer war der Spieler des Spiels?

Lucas Moura, ein 27-jähriger Brasilianer. Eigentlich ist er Ersatzstürmer der Spurs, viele TV-Zuschauer mussten ihn im Laufe des Spiels googeln. Mit seiner Mischung aus Tempo und enger Ballführung war er, wie manch anderer seiner Mitspieler, der Defensive von Ajax überlegen. Alle drei Tore seiner Elf erzielte er, das zweite war das eleganteste. Am Vortag schossen übrigens die zwei Liverpooler Bankdrücker Divock Origi und Georginio Wijnaldum je zwei Tore. Die Mannschaften der Premier League haben mehr Reserven als die Bank von England.

Wer zieht ins Endspiel ein?

Tottenham, was man eine Überraschung nennen darf. In der Rückrundentabelle der Premier League stehen die Spurs nur auf Rang 10, also schlechter als Bunrley und Crystal Palace. Sie haben mehr Spiele verloren als gewonnen und haben weniger Stars aus der ersten Reihe als die anderen großen Klubs aus ihrer Liga. Nun können die Bierverkäufer in Madrid Überstunden einplanen, denn am 1. Juni kommt es dort zum englischen Finale wie 2008, damals gewann Manchester United in Moskau mit Ronaldo gegen Chelsea mit Michael Ballack. Liverpool gewann fünf Mal die Champions League oder den Vorläuferwettbwerb, Tottenham noch nie. 1984 standen die Spurs zuletzt in einem europäischen Finale, sie holten sich den Uefa-Cup.

Nach dem Triumph von Amsterdam bildeten die jubelnden, bisweilen weinenden Spieler einen großen menschlichen Haufen. Der hobbithafte Trainer Mauricio Pochettino entledigte sich seines Jacket und seines Kaugummis, kniete, den Kopf auf dem Rasen in den Händen verborgen, bevor er sich vor den Fans verbeugte. Die Ereignisse übermannten sogar die Gewinner.

Und die Verlierer?

Mit den Spielern von Ajax, die mit dem Siegtor Tottenhams auf den Boden sanken und eine Zeitlang regungslos liegen blieben, weinte die Fußballwelt. Ihnen gehörten die Herzen der Neutralen, denn sie waren die Außenseiter. Ajax wäre der erste Finalteilnehmer seit dem FC Porto 2004 gewesen, der nicht aus einer der vier großen Ligen Europas kommt – dank seiner Jugendarbeit, dank seiner offensiven Spielidee. Zudem werden viele Spieler den Verein in der neuen Saison verlassen, und wer weiß, wann Ajax, der Verein des einzigartigen Johan Cruyff, wieder eine solche Elf bekommt. Auch das rief dieses Spiel in Erinnerung: Fußball kann so schön und so brutal sein.

Was sagt das alles über die Champions League?

Sie mag die Liga der Superreichen sein, die die nationalen Ligen irgendwann verdrängen könnte. Doch in dieser K.o.-Phase begeisterte die Champions League, gerade im schroffen Kontrast zur Bundesliga, mit ungeahnten Wendungen, Emotionen, Höchstspannung, einfach großartigem Sport. Im Achtelfinale zerlegte Ajax Real Madrid im Bernabeu 4:1; Ronaldo drehte mit drei Toren gegen Atlético eine vermeintlich unaufholbare Hinspielniederlage. Manchester United schaltete trotz 0:2 im Heimspiel Paris aus. Im Viertelfinale setzte sich Ajax gegen Juventus durch, Manchester City und Tottenham boten ein irres Duell, das 4:3 endete. Im Halbfinale dann schaffte Liverpool das Wunder gegen Barcelona und nun flossen in Amsterdam wieder viele Tränen, aus Trauer und vor Freude, sodass die Grachten überliefen. Was hält das Endspiel bereit?

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