/“Pop und Populismus”: Tribal dance

“Pop und Populismus”: Tribal dance

Oft wird
die Kritik geäußert, der Pop der Gegenwart sei kaum mehr politisch. Tatsächlich
ist das Gegenteil der Fall: Lange schon war Pop nicht mehr so politisch wie
heute; bloß ist er dies in wesentlichen Teilen nicht in einem “linken” oder “emanzipatorischen”
Sinn. Heutige Popmusik ist in weiten Teilen von einer enormen sprachlichen
Verrohung geprägt und von politisch zutiefst reaktionären Positionen. Sie ist
sexistisch und patriarchal, und sie lappt – wie man etwa bei Kollegah und Farid
Bang
sieht – in einem jenseits des Nazi-Rock lange Zeit unvorstellbaren Ausmaß
ins Rassistische und Antisemitische. Hier ist sie nicht von der Utopie des
befreiten Miteinanders gleichberechtigter Menschen geprägt, sondern von der
genussvoll ausgekosteten Härte des Kampfes aller gegen alle und vom Wunsch, den
Gegner zu bezwingen.

"Pop und Populismus": Jens Balzer schreibt regelmäßig als Popkritiker für ZEIT und ZEIT ONLINE. Dieser Artikel ist ein Auszug aus seinem Buch "Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik", das am 13. Mai in der Edition Körber erscheint.

Jens Balzer schreibt regelmäßig als Popkritiker für ZEIT und ZEIT ONLINE. Dieser Artikel ist ein Auszug aus seinem Buch “Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik”, das am 13. Mai in der Edition Körber erscheint.
© Barbara Dietl

Dieser
Pop lässt sich lesen als getreuer Spiegel der entfesselten
Wettbewerbsgesellschaft, in der wir leben – und ihrer dialektischen Rückseite,
der neuen Beschwörung von Herkunft und Identität, die den Stress und die
Unübersichtlichkeit dieser Gesellschaft dadurch zu kompensieren versucht, dass
sie sich in einfache und übersichtliche Zustände zurücksehnt: in die
Behaglichkeit einer von der Moderne und der Globalisierung noch unangetasteten
Vergangenheit; in eine formierte Gesellschaft, in der die kulturellen
Traditionen noch mit sich selber identisch und unvermischt sind und die Ordnung
der sexuellen Verhältnisse dem bewährten Schema des Patriarchats folgt.

Insofern
harmoniert der Pop der Gegenwart in weiten Teilen mit dem Weltbild des neuen
rechten Populismus. Eine weitere Entsprechung liegt in der Art und Weise, in
der seine Protagonisten die Grenzen des Sagbaren nach rechts zu verschieben
versuchen – und sich zugleich der Verantwortung für ihre Äußerungen entziehen.
Musiker wie Kollegah, Farid Bang und Bushido behaupten ja durchweg, in keiner
Weise verantwortlich für die Wirkung ihrer Rhetorik auf ihre jugendlichen
Hörerinnen und Hörer zu sein – weil ihre rohen, misogynen, homophoben und
rassistischen Texte eben “nicht so gemeint”, sondern lediglich provokant,
spielerisch und krass um der Krassheit selbst willen seien.

Auf diese
Art der Selbstexkulpation darf sich eine Popkritik, die diesen Namen verdient,
niemals einlassen: Ein Künstler trägt natürlich Verantwortung für seine Kunst,
und es ist die Aufgabe jeder Kritik, diese Verantwortung einzufordern. Auch
wenn es den Kritiker freilich in eine unerfreuliche Lage bringt; denn er steht
nun zwangsläufig als derjenige da, der einem krass-coolen Typen moralinsauer
mit dem Zeigefinger vor der Nase herumfuchtelt und im Zweifelsfall dabei auch
noch als jemand erscheint, der selber “gar nicht dazugehört” – weil er zum
Beispiel kein langjähriges Mitglied der Hip-Hop-Szene ist und folglich die “Regeln”
nicht kennt, nach denen in dieser gespielt wird – oder der, wie es den
Kritikern von Andreas Gabalier und Frei.Wild von deren Verteidigern vorgehalten
wird, ohnehin zur anderen Seite des politischen Spektrums zählt, zum “linksgrün
versifften Mainstream”, und schon allein aus diesem Grund nicht die
Berechtigung besitzt, sich über ihre Musik und die darin enthaltenen
Botschaften zu äußern.

In dieser
Position findet man sich ungern wieder; einfacher wäre es fraglos, das zynische
Spiel mitzuspielen und es als freche Provokation des – wahlweise Hip-Hop-fernen,
erwachsen-spießigen, bürgerlichen oder linken – Establishments zu feiern. Man
machte dann auch als Kritiker eine freche, jedenfalls weniger verklemmte Figur.
Dagegen ist allerdings einzuwenden, dass es nicht zu den Aufgaben eines
Kritikers zählt, eine gute Figur zu machen; ist es doch seine Schuldigkeit,
gerade dann auf die ethischen und ästhetischen Kriterien der Analyse und
Bewertung zu insistieren, wenn er dadurch lästig und überflüssig erscheint.

Es gibt
aber noch einen anderen problematischen Aspekt, wenn man Popmusik – oder Kunst
generell – nach politischen und moralischen Maßstäben bewertet und für das von
ihr Gesagte oder Gezeigte oder auch nur Angedeutete in die Verantwortung nehmen
will. Denn, so könnte man fragen: Sollte Kunst nicht als solche gerade jene
Sphäre des Daseins darstellen, in der man sich in experimentierender,
provozierender Weise der Verantwortung für gesellschaftlich vorgegebene Normen
entzieht? In einer Weise, die furchtlos sämtliche Grenzen, auch jene des “guten
Geschmacks”, überschreitet?

Was wäre
der Pop der vergangenen Jahrzehnte ohne dessen Provokation der spießigen
Kleinbürgerwelt und ihrer festgefügten Vorstellungen davon, wie Menschen
auszusehen und sich zu verhalten haben, wie sie sich äußern und inszenieren
dürfen? Wo wären wir heute, hätten die Beatles und die Hippies sich nicht in
den Sechzigern aus Protest gegen die maskulin formierte Gesellschaft die Haare
wachsen lassen und sich in eklektische Fantasiekostüme gekleidet? Wo wären wir,
hätten nicht die Glamrocker mit ihrer bisexuellen Ästhetik in den frühen
Siebzigern den heterosexuellen Imperativ herausgefordert und allen Menschen,
die sich unbehaust fühlten in der Welt, ein Beispiel dafür gegeben, dass ein
anderes Leben möglich ist? Wo wären wir, hätten nicht die Disco-Musik und der
frühe afroamerikanische Hip-Hop den rassistischen Imperativ im Pop und in der
Gesellschaft herausgefordert? Wo wären wir ohne den Punk und den Industrial mit
ihrem riskanten Spiel mit schweren Zeichen und ihren explizit verantwortungslosen
Provokationen des guten Geschmacks und des kulturellen und gesellschaftlichen
Establishments? Wo wären wir ohne die sexuellen und kulturellen Grenzüberschreitungen,
die insbesondere die elektronische Klubmusik der letzten Jahrzehnte prägen: von
den schwulen Traditionen des Techno und den queeren Traditionen des House bis
zu den feministischen und Transgender-Produzent/innen der Gegenwart? Wo wären
wir ohne die politische Ästhetik der Transgression, die man etwa bei
Anohni/Antony Hegarty findet, bei Sängerinnen wie FKA twigs, Kelela oder der
frühen Lady Gaga?

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