/Landwirte: “In meiner Familie der Letzte”

Landwirte: “In meiner Familie der Letzte”

“Dem Sohn habe ich abgeraten”

Mein
Sohn studiert Landwirtschaft, aber ich habe ihm erst mal abgeraten,
hier einzusteigen. Wir blicken ja überhaupt nicht durch, wie es in der
Agrarpolitik weitergeht. Dabei gehört der Hof seit ewigen Zeiten zur
Familie. Mein Vater war einer der Ersten, die nach der Wende ihr Land
von der LPG zurückbekommen und wieder als Bauer bewirtschaftet haben.

Ich
arbeite konventionell, aber man macht sich doch immer Gedanken, was man
besser machen kann. Neulich habe ich in alten Büchern meines Vaters
gelesen und danach Schaf-Schwingel als Zwischenfrucht ausprobiert. Das
Süßgras bringt keine hohen Erträge, aber es lockert den Boden gut auf.
Dann fühlt sich der Regenwurm wieder wohl, und die Fruchtbarkeit steigt.

Hier
in Brandenburg sind wir von Investorengesellschaften umgeben. Da erlebt
man den Unterschied zu unserem Denken als Bauern. Wir gehen auch am
Sonntag noch raus und schauen: Wie sieht das Feld aus? Bei den
Großbetrieben wird aus der Ferne entschieden: Glyphosat spritzen – egal
wie viel Unkraut da steht. Oder dreschen, obwohl es gerade regnet, damit
der Lohnunternehmer ausgelastet ist. Den Betriebsleitern kann man das
gar nicht vorwerfen. Sie sind den Investoren oder Aktionären
verpflichtet, und die interessieren sich meist nicht für die
langfristigen Folgen in der Region. Für sie gelten nur Zahlen.

Manche
ihrer Praktiken hätten den Kommunisten früher auch einfallen können.
Aber die LPG hatte wenigstens noch eine enge Verbindung zum Dorf. Jetzt
arbeiten in der Nachbarschaft Angestellte, die liebäugeln schon mit
ihrem nächsten Job in Litauen. Verbundenheit und Verwurzelung können da
kaum wachsen. Und unsere bäuerlichen Familienbetriebe zählen nur noch
als Aufdruck für die Produktverpackung.
Torsten Gerloff, Ackerbauer mit Büffelhaltung in Brandenburg

“In meiner Familie der Letzte”

Landwirte: Erhard Hähnle: "Ich bin jetzt offiziell kein Landwirt mehr."

Erhard Hähnle: “Ich bin jetzt offiziell kein Landwirt mehr.”
© privat

Ich war immer Bauer mit Leib und Seele. Bin sehr gern aufs Feld, habe eine Freude gehabt, wenn zehn Ferkel an der Mutter saugten. Und wenn Arbeit anstand, dann hat man sie einfach gemacht. Krank bin ich nie geworden. In all den Jahren hat die Familie nicht ein einziges Mal woanders übernachtet. Die Kinder haben uns das nie zum Vorwurf gemacht, aber von dieser Generation können wir das nicht mehr verlangen.

Mein Abschied begann schon vor vielen Jahren. Ich war 52 und hätte viel Geld in einen neuen Stall für meine Schweine investieren müssen. Da habe ich schon gewusst, dass meine Kinder den Hof nicht weiterführen wollen. Die Erzeugerpreise waren niedrig, die für Grund und Boden hoch.

Mir war klar: Wir werden nicht mehr erweitern können. Also habe ich mit meiner Frau zusammen beschlossen, keinen Stall mehr zu bauen und schrittweise aufzugeben.

Die Schweine habe ich nach und nach abgeschafft und nur noch auf 40 Hektar Zuckerrüben, Getreide und Mais angebaut. Ich habe mich an einer Biogasanlage beteiligt, ein bisschen Landschaftspflege gemacht, in einer Baumschule geholfen. Meine Frau hat in der Bank gearbeitet. So konnten wir zum Glück gut weiterwirtschaften. Heute ist unser Land verpachtet. Ich bin jetzt offiziell kein Landwirt mehr.

Für mich war es ein geordneter Rückzug. Ich habe nicht wie manch anderer weitergewurschtelt, bis ich nicht mehr konnte. Über unseren Ortskern Leonhardshof gibt es Aufzeichnungen, die reichen zurück bis in den Dreißigjährigen Krieg. Durch die Geschichte des Ortes zieht sich unser Name wie ein roter Faden. Ich muss leider sagen: Ich war in der Familie der letzte Bauer.
Erhard Hähnle, Schweinezüchter in Baden-Württemberg

“Wo bleibt der Aufschrei?”

Ich habe Geografie und Philosophie studiert, und als es 1990 darum ging, den Hof des Vaters zu übernehmen, habe ich lange über der Entscheidung gebrütet. Jetzt sind meine Frau und ich stolz auf unseren preisgekrönten Ökobetrieb. Milch, Fleisch, selbst gemachte Wurst, Suppen und andere Produkte verkaufen wir direkt vom Hof oder auf dem Markt. Anders würde sich der Mehraufwand für Ökoanbau, Biofleisch, Hühner in Wanderkäfigen, die ganze Vielfalt unserer Aktivitäten nicht rechnen.

Beim Thema Höfesterben denke ich an den Satz des Theologen Martin Niemöller: “Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist …” Er habe auch geschwiegen, als sie die Sozialdemokraten holten und die Gewerkschafter, sagt Niemöller, “und als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte”. Viele finden wahrscheinlich total daneben, wenn ich unsere Situation damit vergleiche. Aber auch wir Bauern halten den Mund, wenn der Nachbar den Nachbarn aussticht. Wir bleiben ruhig, solange wir auf der Gewinnerseite sind, und freuen uns über jede Möglichkeit, ein paar Hektar dazupachten zu können. Bis wir selbst geschluckt werden.

Man muss heute doch so deutlich werden, damit noch jemand etwas merkt. Wo bleibt der Aufschrei der Verbraucher, dass schon Hunderttausende von uns verschwunden sind und wir immer noch weniger werden? Bis niemand mehr da ist, der sich kümmert im Dorf? Stattdessen steckt ihr uns in Zwangsjacken aus Wunschvorstellungen. Auch ich will mich für Technik wie unsere neue Heutrocknungsanlage begeistern können, obwohl ich Biolandwirt bin und mein Weltmarkt der Wochenmarkt ist. Das Bäuerliche muss man verteidigen – aber es darf sich ja wohl ändern. So wie alle anderen Lebensbereiche.
Ludger Strotdrees, Biobauer in Nordrhein-Westfalen

“Mehr Herz pro Hektar!”

Ein Dozent für Bodenkunde hat uns mal gesagt: Ihr Bauern mit kleineren Betrieben, ihr habt mehr Hirn pro Hektar. Aber wir brauchen vor allem mehr Herz pro Hektar – und zwar das Herz als Wahrnehmungsorgan. Wir beobachten genau, was in der Natur geschieht, und das fließt in unsere bäuerliche Praxis ein. Bei uns leben zum Beispiel Mastschweine und Jungrinder zusammen im Stall. Es ist einfach schön, zu sehen, wie sie sich necken. Und die Gemeinsamkeit ist nützlich: Zugleich durchwühlen die Schweine den Mist, und sie fressen die Eier der Fliegen. Die ärgern dann die Rinder nicht mehr. Wir kennen jede einzelne Kuh, jede Ziege.

Auf unserem Hof hat jede Generation auf dem Wissen der vorangegangenen aufgebaut und zugleich Neues umgesetzt. Der Großvater war ein Pionier für Traktoren und Pflanzenschutz, der Vater war Mitbegründer des Anbauverbandes Bioland. Wir stellen jetzt Joghurt und Käse selbst her, backen Brot und bauen Gemüse an. Mit einem eigenen Laden haben wir den Hof geöffnet und pflegen einen lebendigen Kontakt mit unseren Kunden. Und mit den Nachbarn im Dorf, denn wir verkaufen auch deren Produkte.

Wir können gut leben von unseren zehn Kühen auf 20 Hektar. Wir haben das Glück, noch einen der Urberufe auszuüben, so wie Schreiner oder handwerkliche Bäcker. Das ist echtes Können, und es ist schmerzlich, zu sehen, wie es überall verschwindet.

Die sterbenden Höfe machen uns traurig. All die Maschinen können unsere Arbeit vielleicht nachahmen und perfektionieren – aber was ist, wenn der Strom ausfällt? Was ist, wenn das Herz fehlt? Wir begeben uns in immer größere Abhängigkeiten. Dagegen setzen wir Bauern seit Jahrhunderten auf unser lokales Erfahrungswissen und die menschliche Zusammenarbeit in der Region.
Simon und Hanna Mair, Demeter-Bauern in Bayern

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