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Re:publica: Lasst euch endlich mal richtig Zeit am Handy

Das Digitale, das war zwischenzeitlich einmal die Sphäre, wo alles besser werden sollte: mehr Informationen, mehr Komfort, bessere Möglichkeit, sich zu vernetzen – all das haben wir längst. Aber ach, dann wurde am Ende halt doch nicht alles freier, gleicher und leichter, obwohl wir alle internetfähige Smartphones in der Tasche tragen und man jeden Sonntag mit Oma videotelefonieren kann.

Deshalb will die größte Digitalkonferenz Europas, die re:publica langsam machen. Sie hat am Montag begonnen und ihr diesjähriges Motto ist “tl;dr”. Das steht für too long; didn’t read: Das ist so lang, dass das kein Mensch liest – darum hier die Zusammenfassung. Es steht für die Ungeduld, für das Flüchtige, Verkürzte im Netz. Die Programmmacher der Konferenz wollen es jetzt mal mit dem Gegenteil probieren: Ausführlich sein, statt zu verknappen. Genau hinschauen, statt Oberflächlichkeiten auszutauschen.

Vom Daddelspiel bis zum Rauchmelder spioniert uns alles aus

Mit Recht. Denn bei allem Respekt für Flugtaxis, Quantencomputer und künstliche Intelligenz: Derzeit zeigt sich doch, dass wir nicht einmal die Technologie und Kommunikationskanäle im Griff haben, die wir bereits täglich nutzen. Facebook ist dabei, uns auf dem Weg zu besseren Werbeeinblendungen unsere Demokratie zu zerschüsseln. Vom Daddelspiel auf dem Handy bis zum schlecht geschützten Rauchmelder spioniert uns unsere Alltagstechnik aus. Und automatische Entscheidungssysteme diskriminieren Menschen, ohne dass die genau wissen, wie ihnen eigentlich geschieht – sei es im US-Justizsystem oder in Bewerbungsprozessen.

Es stellt sich heraus, dass börsennotierte Firmen oder solche, in denen ordentlich Investmentkapital steckt, weniger das Wohl ihrer Kunden und der Demokratie im Sinn haben als die Optimierung ihrer Werbeeinblendungen. Dass sich auch Populisten und Demokratiefeinde weltweit der digitalen Kommunikationsmechanismen bemächtigen – und oft inzwischen sogar lauter schreien als die Befürworter von Demokratie und Menschenfreundlichkeit im Digitalen –, egal ob man nach Brasilien schaut, auf deutsche Rechtsextreme oder auf Trolle aus Russland oder aus anderen Ländern. Weil sich herausstellte, dass die Gestalter wie Nutzer von Technik und Internet halt nicht über Nacht edel, altruistisch und gut werden – und es das Ergebnis entsprechend eben auch nicht ist.

Vielen von uns Nutzerinnen und Nutzern dieser Dienste wird erst jetzt bewusst, worauf wir uns eingelassen haben, als wir all diesen AGB blind zustimmten, uns bei all den Diensten anmeldeten, immer weiter digitalen Komfort wählten. Ohne abzuwägen, wer das eigentlich bezahlt, wenn es für uns umsonst ist.

Lies endlich mal die AGB

Wir haben Maschinen mit Daten gefüttert, haben uns von ihnen kartografieren lassen und merken nun, wie berechenbar wir geworden sind. Wie gut Entscheidungssysteme darin sind, unser künftiges Verhalten zu prognostizieren oder mitunter sogar in die eine oder andere Richtung zu lenken. Was noch dusterer wird, wenn sich – wie in China, aber auch anderen Ländern – Staat und Unternehmen zusammenschalten.

Je mehr digitale Teufel in den Details und AGB stecken, je unüberblickbarer ist, was eigentlich lernende Maschinen aus Datenhaufen herauslesen, desto wichtiger wird es, genau auf die Details zu schauen. Wie unfassbar dröge das sein kann, haben die vergangenen Monate im Streit um die EU-Urheberrechtsreform gezeigt. Es zeigt sich an all den zähen Datenschutzdebatten und bei der Frage, wie man eigentlich Regeln und Standards für dieses Internet of Things finden will. Und es zeigt sich: Je komplizierter die Lagen der Welt, desto gefährlicher, sie auf kurze Parolen zu verknappen oder Teilwahrheiten zu nutzen, um Lügen ins Netz zu streuen und somit den Hass zu verbreiten.

Was macht meine Kaffeemaschine so privat?

Markus Beckedahl, einer der re:publica-Gründer, sagte auf der Konferenz: Seit seiner Kindheit träume er davon, mit Computern zu reden. Davon, dass sie endlich seine Probleme lösten. Nun ist diese Zukunft da, als sprachgesteuerter Assistent von Amazon oder Google. Nun aber sehe er die Gefahren: Was fangen die Unternehmen eigentlich mit den Aufzeichnungen seiner Stimme an? Und: Freuen sich Geheimdienste nicht, wenn Nutzerinnen sich jetzt schon selbst Wanzen in die Wohnungen stellen? Es sei ja erfreulich, dass die vernetzte Kaffeemaschine ihm morgens einen Zeitvorsprung von drei Minuten verschaffe – aber woher wüssten wir, dass sie nicht gerade parallel Cyberwar in Finnland führe?

Deshalb spricht man bei der re:publica übers Aufbegehren. So empfahl die kenianische Forscherin und Netzaktivistin Nanjira Sambuli zum Auftakt etwa, infrage zu stellen, wer gestaltet, was im Netz geschieht. Wer als Creator teilnehmen darf. Und wer als Experte wahrgenommen wird. Was sie damit meint: Häufig sind es westlich, weiß und männlich dominierte Zirkel, die im Netz wichtige Entscheidungen treffen. Diese Strukturen aufzubrechen, das empfiehlt längst nicht nur Sambuli. Und auch diese Frage nach Gestaltungsmacht im Digitalen ist eine Frage des Kleingedruckten, der Fußnoten.

Die Digitalisierung hat nur oberflächlich betrachtet alles leichter gemacht. Technik und Internet nutzen kann heute quasi jeder. Aber es ist anstrengend, zu verstehen, was eigentlich passiert, wenn man irgendwo auf “Jetzt registrieren” klickt. Es kostet Mühe, jeden Text vor dem Teilen zu Ende zu lesen und zu überprüfen: Stimmt das wirklich? Es ist dröge, dafür zu streiten, dass die digitale Welt nicht beschränkter wird als die analoge. Dafür braucht es Geduld. Und gute Augen für jede Menge Kleingedrucktes.

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