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Mint-Fächer: “Alle Schüler sollen in Mathe Abitur machen”

In keinem Fach ist die Studienabbrecherquote so hoch wie in Mathematik. An der Schwelle zwischen Schule und Hochschule stolpern jährlich Tausende Studierende in Mathematik und anderen Mint-Fächern. Anderseits haben Schülerinnen und Schüler in mehreren Bundesländern eine Petition gestartet, weil die Abiturprüfung in Mathe ihrer Ansicht nach viel zu schwer war. Nun hat sich eine Mathematiker-Kommission zum “Übergang Schule–Hochschule” nach mehrjähriger Diskussion auf einen Forderungskatalog geeinigt: 19 Maßnahmen sollen Studienanfängern den Schritt ins Studium erleichtern. In der Kommission kamen Vertreter der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (DMV), des Verbandes zur Förderung des Mint-Unterrichts (MNU) und der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik (GDM) zusammen. Unter ihnen: der Kommissionsvorsitzende Prof. Dr. Wolfram Koepf (DMV) und Henning Körner (MNU). Der Mathematikprofessor und der Mathematiklehrer erklären, wie die Ideen der Kommission funktionieren sollen.

ZEIT ONLINE: Warum tun sich Studienanfänger mit Mathematik so schwer?

Wolfram Koepf: Die Schulmathematik ist ganz anders als die Hochschulmathematik. In der Schule wird einem erklärt, wie gewisse Probleme behandelt werden können, an der Hochschule ist alles sehr viel abstrakter und damit schwieriger. Daran scheitern viele.

Henning Körner: Dazu kommt auf Schulseite, dass wir immer größere Schülerpopulationen haben und sich damit auch der Bildungsauftrag der Schule wandelt. 50 Prozent machen ein mathematikhaltiges Studium, 50 Prozent nicht. Im Alltag – und damit auch an der Schule – spielt zum Beispiel die Stochastik eine wichtige Rolle, das Lesen von Graphen und Diagrammen. An Hochschulen sind andere Dinge wichtiger.

ZEIT ONLINE: Wie kann man den Anfängern helfen? Durch neue Lehrinhalte?

Koepf: Nein, damit kann man das Problem sicherlich nicht reparieren. Man muss an vielen Punkten anknüpfen. Deshalb haben wir ja nicht nur eine Maßnahme vorgeschlagen, sondern 19. Und im Detail sogar noch viel mehr. Nehmen Sie Maßnahme eins: “Alle Schülerinnen und Schüler erhalten durchgehend mindestens vier Wochenstunden Mathematikunterricht von professionell aus- und fortgebildeten Mathematiklehrkräften.” Darin steckt die Forderung, dass auch im Grundkurs vier Stunden unterrichtet werden, weil ja viele Ingenieurstudierende nur einen dreistündigen Grundkurs Mathematik besuchen. Wir wollen aber auch, dass die Lehrkräfte professionell ausgebildet sein sollen. Und implizit sagen wir: Bitte keinen fachfremden Unterricht. Davon sind wir in der Realität nämlich weit entfernt.

ZEIT ONLINE: Wie muss sich die Uni ändern?

Koepf: Die Fachstudienordnung muss angepasst werden an den Wissensstand, den die Studierenden aus der Schule mitbringen. Gerade bei den Ingenieurstudiengängen wird zum Teil noch unterrichtet wie vor 30 Jahren. Das ist ein Unding. Und wir fordern auch, dass mehr miteinander gesprochen wird zwischen Schulen, Hochschulen und Ministerien.

ZEIT ONLINE: Mehr Zeit, weniger fachfremder Unterricht, mehr Fortbildungen – die meisten Forderungen würde jedes Fach so für sich in Anspruch nehmen, von Deutsch über Musik, Physik bis zu Sport. Warum hat die Mathematik da Ihrer Ansicht nach eine Sonderbehandlung verdient?

Körner: In anderen Fächern gibt es viel mehr Synergieeffekte. Konkretes Beispiel: Die Klassenarbeit meines Sohnes über den “Aufruf des Papstes, am Kreuzzug teilzunehmen”. Die könnte in Religion geschrieben werden, aber genauso auch in Geschichte. Eine Kollegin, die Deutsch-Leistungskurs hatte und Geschichte studiert hat, sagte mir, ihr Leistungskurs habe ihr ganz viel für das Geschichtsstudium geholfen. Wenn ich Ihnen dagegen eine Mathematikarbeit zeige, dann ist klar, dass es nichts anderes als eine Mathearbeit sein kann.

Die Physik hat sich an der Schule relativ stark entmathematisiert, in der Biologie ist Mathematik eher eine Drohung, und in Informatik, die früher mal aus Algorithmen und Programmieren bestand, haben Sie heute viele Themen wie Datenschutz und Verantwortung, gesellschaftswissenschaftliche Themen also. Dazu kommen Sozialisationseffekte: Mathematikaffine Haushalte gibt es viel weniger als bei anderen Fächern. Mathematik ist etwas Besonderes, schon aus der Wahrnehmung der Schüler.

Koepf: Über diese Frage wurde im Vorfeld in der Kommission durchaus gestritten. Aber man muss sehen, wie viele Studierende ein Mint-Studium aufgreifen, fast 50 Prozent eines Jahrgangs. So viele findet man nicht im germanistischen Bereich. Natürlich müssen alle Deutsch können, aber für uns ist klar, wenn man als Standort Deutschland Mint-Kräfte braucht, dann muss man diesen Bereich stärken.

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