/Masern-Impfpflicht: “Bußgelder wirken gut, um Impfquoten zu erhöhen”

Masern-Impfpflicht: “Bußgelder wirken gut, um Impfquoten zu erhöhen”

Am Sonntag verkündete Gesundheitsminister Jens Spahn in der “Bild am Sonntag”, dass er eine Masern-Impfpflicht einführen will. Sie sieht Folgendes vor:

  • Alle Schul- und Kita-Kinder müssen nachweisen, dass sie gegen Masern geimpft sind.
  • Ungeimpfte Kinder sollen von der Kita ausgeschlossen werden können.
  • Eltern von Schulkindern, die ungeimpft sind, sollen Bußgelder von bis zu 2.500 Euro zahlen.

Saad Omer ist Professor für Globale Gesundheit an der Emory University und forscht seit Jahrzehnten zu Impfungen, Impfakzeptanz und Impfpflicht. Im Gespräch erklärt er, was von Spahns Impfpflicht zu halten ist.

ZEIT ONLINE: Herr Omer, eine Impfpflicht ist ein Eingriff in die individuelle Freiheit. Wann ist sie gerechtfertigt?

Saad Omer ist Impfexperte und Professor für Globale Gesundheit an der Emory University in den USA. Er forscht seit Jahren dazu, welche Rolle Schulen, Eltern, Gesundheitsdienste und Gesetzgebung für die Impfentscheidung, die Impfquote und die Krankheitshäufigkeit spielen.
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Saad Omer: Jede Gesellschaft muss eine Balance finden zwischen solchen leichten und oft zeitlich begrenzten Eingriffen in die persönliche Freiheit und dem größeren gesellschaftlichen Nutzen davon. Vor allem dann, wenn wie im Falle der Masern ganzen Gruppen von Menschen – Kinder, die zu jung sind, um geimpft zu werden, oder Menschen mit einem krankhaft schwachen Immunsystem – Schaden droht, weil einzelne sich nicht an Impfempfehlungen halten. Ähnliche Abwägungen zu Gesundheitsmaßnahmen finden andauernd statt: Rauchverbote zum Beispiel wurden eingeführt, nachdem klar wurde, wie schädlich Passivrauchen ist; Quarantäne wird verordnet, wenn jemand an einer ansteckenden Erkrankung leidet; oder eben auch die Anschnallpflicht im Auto. Solche Zwangsmaßnahmen werden abgesehen von wenigen Ausnahmen akzeptiert.

ZEIT ONLINE: In Deutschland sind 97 Prozent der Kinder, die eingeschult werden, einmalig gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft, 93 Prozent haben auch die für einen vollständigen Schutz wichtige zweite Impfung bekommen. Die Impfquoten sind also gar nicht so schlecht. Gleichzeitig gibt es große regionale Unterschiede, in Baden-Württemberg liegen die Quoten beispielsweise deutlich niedriger. Aber rechtfertigt das schon eine Masern-Impfpflicht?

Omer: Die Frage ist: Sind die Quoten in Deutschland ganz gut oder gut genug? Masern sind eine gnadenlose Krankheit, eine Infektion kann verschiedene Kurzzeit- und Langzeitfolgen haben, die bis zum Tode führen können. Und Masern sind hoch ansteckend, weshalb man sehr hohe Impfquoten braucht, um Ausbrüche zu verhindern. Allerdings sagen die Quoten nur bedingt etwas darüber aus, wie anfällig eine Gesellschaft für eine bestimmte Infektionskrankheit ist. Das liegt daran, dass Quoten etwa Kinder nicht berücksichtigen, die zu jung sind, um geimpft zu werden. Außerdem sind viele Erwachsene, die nicht geimpft wurden, noch immer anfällig für die Masern. Und nicht zuletzt sind regionale Unterschiede von besonderer Bedeutung: Gibt es an bestimmten Orten eine große Zahl an Nichtgeimpften, kann sich das Virus rasant ausbreiten.

ZEIT ONLINE: Heißt das, Sie befürworten eine Impfpflicht?

Omer: Ich halte sie für angemessen. Die genauen Regelungen sollten aber von wissenschaftlichen Erkenntnissen gedeckt sein.

ZEIT ONLINE: Sprechen wir über die Details der Pläne von Gesundheitsminister Jens Spahn. Sein Gesetzentwurf scheint, jenseits von dringenden medizinischen Gründen, keine Möglichkeiten vorzusehen, sich oder seine Kinder etwa aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen von der Impfpflicht zu befreien. In den USA gibt es in vielen Bundesstaaten solche Regelungen.

Omer: Wir wissen aus der Forschung, dass eine Impfpflicht besser funktioniert, wenn sie darauf zielt, das Verhalten zu ändern, und sie kein streng juristischer Eingriff ist. Es geht darum, dass es einfacher wird, sich impfen zu lassen, als sich nicht impfen zu lassen. Menschen sollten eine Möglichkeit haben, sich von der Pflicht befreien zu lassen. Aber nur in Ausnahmefällen. Wenn es hingegen zu schwer ist, sich befreien zu lassen, führt das zu Widerstand und die Menschen finden Schlupflöcher.

In Kalifornien etwa wurden nach der Verschärfung der Impfpflicht immer mehr Kinder zur Schule zugelassen, obwohl sie noch nicht beide Impfungen bekommen hatten, unter dem Vorbehalt, dass ihre Eltern den Nachweis der Impfungen nachreichen würden. Das Problem: Niemand hat das kontrolliert.

Ein gegenteiliges Beispiel: Im Bundesstaat Washington zum Beispiel kann man sich noch immer aus nicht medizinischen Gründen befreien lassen. Eltern müssen aber trotzdem zu einem Arzt, der sie über die Risiken des Nichtimpfens aufklärt. Das hat die Befreiungen von der Impfpflicht um mehr als 40 Prozent reduziert.

Außerdem muss man natürlich regeln, wer Kinder aus medizinischen Gründen befreien darf. Oft gehen Eltern zu wohlwollenden Ärztinnen und Ärzten, da gibt es ein Missbrauchspotenzial. Ich plädiere dafür, dass nur Ärzte, die auch impfen können, eine Befreiung erwirken dürfen. Zudem sollten Befreiungen beispielsweise jedes Jahr überprüft werden.

In diesem Zusammenhang ergibt es auch keinen Sinn, Kinder nur zu Beginn der Kita- oder Schulzeit auf ihren Impfstatus zu prüfen. Das hat zwar langfristig einen Einfluss, wird aber kurz- und mittelfristig Masern-Ausbrüche nicht verhindern.

ZEIT ONLINE: Das passt zu dem, was viele Experten in Deutschland immer wieder anmerken. Die Immunität unter Erwachsenen, die die Erkrankung als Kind nicht hatten, aber auch keine Impfungen bekommen haben, könnte ein größeres Problem sein als ungeimpfte Kinder.

Omer: Wer Ausbrüche verhindern will, muss diese Menschen erreichen. In den USA beginnt der Großteil von Ausbrüchen, weil ungeimpfte Amerikanerinnen und Amerikaner das Virus von Auslandsreisen mitbringen oder Touristen und Besucherinnen, die sich mit dem Virus angesteckt haben, einreisen. Deshalb sollte auch jeder, der eine Reiseimpfberatung in Anspruch nimmt, auf seinen allgemeinen Impfstatus hin geprüft werden.

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