/Lange Nacht der ZEIT: Eine wirklich lange Nacht

Lange Nacht der ZEIT: Eine wirklich lange Nacht

Lang dauerte sie in diesem Jahr wirklich, die Lange Nacht der ZEIT. Lang, weil ab acht Uhr abends der ehemalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert mit ZEIT-Magazin Chef Christoph Amend und ZEIT-Online Chefredakteur Jochen Wegner im ausgebuchten Audimax der Universität Hamburg zu plaudern begann. Es gab Rotwein, es gab Käse, beides abgestimmt auf den Gast, der viele Jahre Frankreich-Korrespondent der ARD war. Und niemand wusste, wann das Gespräch enden würde. “Alles gesagt?” heißt der Podcast von Amend und Wegner, und das Fragezeichen deutet an, dass sie es ernst meinen mit der Aussage – das Gespräch endet erst, wenn wirklich alles gesagt ist. Dieses Mal um kurz nach Eins, nach über fünf Stunden, genauer: um 1.11 Uhr.

Der ehemalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert (Mitte) mit ZEIT-Online Chefredakteur Jochen Wegner (links) und ZEIT-Magazin Chef Christoph Amend im Audimax der Universität Hamburg
© Phil Dera für DIE ZEIT

Zwischendurch musste Wegner den Hörern des Podcasts, die nicht im Saal waren, ein Malheur erklären: “Wenn sie im Publikum lachen, dann liegt das daran, dass mir Käse ins MacBook getropft ist.” Und Ulrich Wickert sagte, ernster, über die große europäische Politik: “Ich finde es furchtbar, wie sich Deutschland gegenüber Macrons Ideen für Europa verhält.”

21 Veranstaltungen gab es insgesamt in der Stadt, über 8000 Menschen kamen zur Langen Nacht der ZEIT, die in diesem Jahr zum sechsten Mal stattfand. Zum ersten Mal wurde dabei der Kriminalpodcast “ZEIT Verbrechen” mit Sabine Rückert aus der ZEIT-Chefredaktion und dem Chef des Wissens-Ressorts Andreas Sentker im restlos ausgebuchten Schauspielhaus live vor Publikum aufgezeichnet.

"Hamburg spricht"

Das Format „Hamburg spricht“, bei dem Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen politischen Meinungen miteinander ins Gespräch kommen
© Felix Matthies für DIE ZEIT

Das Format “Hamburg spricht”, bei dem Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen politischen Meinungen miteinander ins Gespräch kommen, war ebenfalls erstmals mit im Programm. Und auf den Bühnen diskutierten Redakteurinnen und Redakteure der ZEIT unter anderem mit Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, der Grünen-Politikerin Claudia Roth, dem AfD-Gründer Bernd Lucke, der Schauspielerin Sibel Kekilli, der Geigerin Lisa Batiashvili und dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer.

Brandauer sprach im ausverkauften Schauspielhaus mit ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Angesprochen auf die Schülerinnen und Schülern, die seit Monaten immer Freitagsvormittags gegen die Klimapolitik der Mächtigen auf die Straße gehen, forderte er: “Die Jugendlichen müssen unterstützt werden, das muss verbreitet werden.” Er mahnte, die Grundlagen unseres Zusammenlebens nicht als selbstverständlich zu erachten: “Unsere Heimat, für die wir dankbar sein müssen, ist die Demokratie.” Und erklärte, warum er immer beim Schauspiel geblieben und nicht Politiker geworden ist: “Ich hatte Anfragen, in die Politik zu gehen. In solchen Gremien würde ich aber kaum überleben.”

Schauspieler Klaus Maria Brandauer im Gespräch mit ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo

Schauspieler Klaus Maria Brandauer im Gespräch mit ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo
© Andreas Henn für DIE ZEIT

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher kam vom SPD-Wahlkampf in Bremen ins Hapag-Lloyd-Gebäude. Im Gespräch mit Marc Widmann verriet er, dass er als 16-jähriger Angst vor dem Atom-Wettrüsten hatte: “Ich habe gedacht, Du wirst eh nicht alt.” Damals habe er selbst zweimal während des Unterrichts demonstriert und sei dafür vom Rektor vorgeladen worden. Während seiner Juso-Zeit sei er aber nie für Enteignungen gewesen: “Ich war als Juso schon vernünftig, erinnere ich mich.” Kurz vor Mitternacht schaute Tschentscher noch bei der Abschlussparty im Mojo-Club auf der Reeperbahn vorbei, wo ihm zwei junge Besucherinnen einen Schnaps spendierten.

Der AfD-Gründer Bernd Lucke, heute Europaabgeordneter der Partei LKR, erzählte am frühen Abend in der randvollen Veranstaltungssaal im Helmut-Schmidt-Haus über seine Entfremdung von der AfD. Als er kürzlich die Materialsammlung des Verfassungsschutzes über die AfD gelesen habe, sei ihm ein Zitat von Max Liebermann in den Sinn gekommen: “Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.” Die Grünen-Politikerin Claudia Roth äußerte sich in ihrem Gespräch mit Caterina Lobenstein und Britta Stuff ebenfalls zur AfD. Auf die Frage, wie sich die Stimmung seit dem Einzig der Partei in den Bundestag verändert habe, sagte sie: “Jede Begegnung mit Herrn Frohnmaier ist wie ein Machtkampf: Wer guckt als erstes weg?” Markus Frohnmaier ist Sprecher von Alice Weidel und Mitglied des Bundestages.

Geigerin Lisa Batiashvili  im Gespräch mit Florian Zinnecker

Geigerin Lisa Batiashvili im Gespräch mit Florian Zinnecker
© Felix Matthies für DIE ZEIT

Weniger politisch ging es im Resonanzraum des Feldstraßen-Bunkers zu, wo Florian Zinnecker mit der Geigerin Lisa Batiashvili auf der Bühne saß. Erst redeten sie über die Elbphilharmonie, in der sie bislang einmal aufgetreten ist und weitere Termine geplant sind: “Ich hoffe, dass die Leute nicht von dem Moment an, seitdem kritisch über die Akustik des Saals geschrieben wurde, selbst total kritisch geworden sind. Sondern dass sie trotzdem hingehen und sich über ein schönes Erlebnis freuen”, sagte Batiashvili. “Am Ende ist es der Moment, der zählt.” Und am Schluss des Gesprächs wurde die Künstlerin, die in Tiflis geboren wurde und 1991 im Alter von zwölf Jahren kurz vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland auswanderte, persönlich. “Ich weiß, dass die Leute in diesem Land es nicht so gern hören, wenn man Dankeschön sagt. Aber ich habe das Bedürfnis, das zu tun. Wäre ich in Georgien geblieben in den Zeiten der Unruhe, nach dem Zusammenfall der Sowjetunion, dann wäre aus mir nicht das geworden, was ich heute bin, sondern ich hätte vermutlich mit der Musik aufgehört.”

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