/Soziale Ungerechtigkeit: Eine Verteidigung des Neids

Soziale Ungerechtigkeit: Eine Verteidigung des Neids

Es wird Zeit, den Neid zu verteidigen. Einer aktuellen Studie zufolge verspüren 33 Prozent der Deutschen “Sozialneid”. Sie wollen den Reichen etwas wegnehmen, ohne selbst etwas davon zu haben. Das ist keine Kleinigkeit. Neid ist eine christliche Todsünde, er ist die “antigesellschaftlichste und verächtlichste aller Leidenschaften” (John Stuart Mill), das gelbe Monster, das den Neider von innen zerfrisst, Neid kennt keine Mitte wie andere Gefühle, kein Zuviel und kein Zuwenig, er ist, so Aristoteles in der Nikomachischen Ethik, wie Schadenfreude, Schamlosigkeit und Ehebruch, wie Diebstahl und Mord “die Schlechtigkeit an sich”.

In dem neuen Buch der Philosophin Martha Nussbaum, Königreich der Angst, ist der Neid Teil einer giftigen Brühe, schürt Feindschaft und Böswilligkeit, verrät Impotenz und ist schlicht und ergreifend ein schmutziges, ein hässliches, ein destruktives Ding, eine Schlange, die, wie in einem berühmten Fresko Giottos, aus dem Mund des Menschen schießt, nur um sich dann gegen ihn – den wahrlich Hässlichen – zu wenden und von innen zu zerfressen.

Kaum ein Gefühl ist über alle Epochen, über alle religiösen und philosophischen Systeme hinweg so negativ beurteilt worden wie der Neid. Die französische Moralistik oder auch Bernard Mandeville in seiner Bienenfabel (1714) haben zwar das Allzumenschliche des Neids erkannt und so versucht, ihm das Pathologische zu nehmen, aber auch dieser Tradition ist klar, dass Neid ein unangenehmes und übles Gefühl ist. Wir alle kennen Neid, so Mandeville, aber wir würden es niemals zugeben – so massiv ist das Tabu, das auf ihm lastet, wer neidisch ist, schämt sich seines Gefühls und tut alles, um es zu verbergen.

Und genau das ist die Chance der Kritiker des Neids. Weil sich Neid verkleiden und verstecken muss, weil er sich nicht offen zeigen darf und immer wieder falsche Gewänder anzieht, lässt er sich beliebig entlarven. Du willst Gerechtigkeit? Sage lieber gleich, dass du neidisch bist. Du willst Umverteilung? Sage lieber gleich, dass du den Glücklichen missgönnst, was ihnen zukommt. Du störst dich an großer Ungleichheit? Sei nicht neidisch, sondern strenge dich an, genug Anreize hast du ja, der Ungleichheit sei Dank.


Soziale Ungerechtigkeit: Dieser Artikel stammt aus der Mai-Ausgabe des "Merkur".

Dieser Artikel stammt aus der Mai-Ausgabe des “Merkur”.
© Klett-Cotta

Kein Zweifel, in Grundsatzdiskussionen über Ungleichheit und Verteilungsgerechtigkeit ist der Neid die schärfste Waffe im Arsenal der Kritiker. Friedrich August von Hayek hat es in seiner Verfassung der Freiheit (1960) unumwunden ausgesprochen, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit sind nichts anderes als drapierter Neid. Seitdem wird dieses Argument von Liberalen und Neoliberalen aller Couleur mit einer Selbstverständlichkeit wiederholt, die angesichts der Gewichtigkeit des Vorwurfs geradezu schockiert.

Man muss sich das vorstellen. Da wachsen, nach allem, was wir wissen, die sozioökonomischen Ungleichheiten in fast allen westlichen Ländern, und wer dagegen protestiert oder gar Umverteilungen fordert, ist einfach nur – neidisch! Das ist alles, was den Cheftheoretikern der Reichen und Mächtigen einfällt. Die Armen und minder Bemittelten sind nicht nur arm, sie sind auch noch niederträchtig, bösartig und ja: irgendwie auch faul, wollen sie doch für sich ergattern, was die Leistungseliten angeblich mühselig erarbeitet haben.

Auch andere Intellektuelle – nennen wir sie Neoliberale im Schafspelz – bedienen sich gerne des Arguments. Chefprovokateur Hans Ulrich Gumbrecht schrie einmal in der Neuen Zürcher Zeitung (am 7. Februar 2016) dem mäkelndem europäischen Bürgertum entgegen, es möge jenen Neid loslassen, der sich in Forderungen nach größerer materieller Gleichheit äußere (von Gumbrecht, völlig unbegründet, stets verstanden als: Forderungen nach totaler materieller Gleichheit). Vielleicht muss man so schreiben, wenn man in Stanford lehrt. Was wollt ihr blöden Gelbwesten eigentlich?

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