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Vampire Weekend: Kanon des uncoolen Wissens

Sechs
Jahre haben Fans von Vampire Weekend auf diesen Moment gewartet. Dann kommt
Hans Zimmer und versaut ihn. Keine 60 Sekunden vergehen auf Father of the
Bride
, dem vierten Album der Band aus New York, bis ein Chorsample
erklingt, komplett übersteuert und seltsam ausgeleiert. Es stammt aus Zimmers
Soundtrack zum Antikriegsfilm Der schmale Grat von Terrence Malick, und
es steckt zwischen den beiden lieblich gesungenen Strophen des Mini-Folksongs Hold
You Now
, als hätte jemand einen Pflock in das Herz des Stücks treiben
wollen. Am Anfang atmet der Sänger Ezra Koenig tief ein, am Ende sagt er mit
lustiger Selbstzufriedenheit: “Alright“.

Vampire Weekend galten mal als so etwas wie die Retter der Rockmusik, mindestens aber als verkörpertes Brooklyn-Hipster-Klischee. Was bedeutet nun solch ein Einstieg in ihr neues Album? Beginnen wir mit der hochtrabendsten
aller Interpretationsmöglichkeiten: Die Band simuliert hier so etwas wie einen Karriereselbstmord. Sie
befreit sich von der eigenen Geschichte und allen damit verbundenen
Erwartungen, um anschließend in 17 neuen Songs auferstehen zu können.
Das ganze Vorwissen über Vampire Weekend, ihren Kleidungsstil und
Lieblingskaffee, ihre Herkunft und Uniabschlüsse ist nach dem ersten Song auf Father
of the Bride
nichts mehr wert. Es liegt bei Hans Zimmer im Schützengraben.

Möglich wäre natürlich auch, dass es sich
um einen Witz handelt. Vampire Weekend haben einen erheblichen Teil der vergangenen
sechs Jahre damit verbracht, sich von Publikum, Medien und Plattenfirmen über
die Wartezeit bis zum neuen Album ausfragen zu lassen. Nun ist es
da und beginnt mit einem Sample aus einem Film, der zu den langwierigsten und
beschwerlichsten Hollywoodproduktionen aller Zeiten gehört. Als Der schmale
Grat
am ersten Weihnachtstag 1998 erschien, waren mehr als 20 Jahre seit
Malicks letztem Film vergangen. Vielleicht lautet die Botschaft von Hold You
Now
also einfach: Stellt euch mal nicht so an, Leute.

Dafür spricht ein Subplot von Father of
the Bride
. Immer wieder kokettieren Vampire Weekend damit, dass man sie
nicht allzu ernst nehmen sollte. Sie illustrieren diesen Umstand durch kuriose
musikalische Entscheidungen zwischen Auto-Tune, zwölfsaitiger Westerngitarre
und Jam-Band-Versuchung, wortlosen Uhuhu-Refrains und Dubidubidu-Strophen sowie
verklemmten Melodieführungen, denen man regelrecht anhört, wie unglaublich hoch
sie ihre Instrumente im Studio umgeschnallt hatten. Mehrmals quatscht Koenig
den eigenen Songs dazwischen, einmal sagt er explizit: “It’s not that
serious.
” Danach erklingt das Stück Sympathy als Neuschöpfung aus
Flamenco und Kölner Technogeschichte.

Sympathy ist das merkwürdigste
Lied auf einer merkwürdigen Platte, der Moment, in dem alle Rock’n’Roll-Hoffnungen
zerplatzen, die sich mit Father of the Bride verknüpfen ließen. Als
Vampire Weekend Anfang 2008 auf der New Yorker Bildfläche erschienen, klangen
sie wie erfunden am Reißbrett für neue Gitarrentrends: Vier junge Männer
erweiterten die Kompakthymnen der Strokes um rock- und amerikaferne Einflüsse.
Vergleiche mit Paul Simons Zulu-Expeditionsalbum Graceland waren
allgegenwärtig, lagen jedoch einige tausend Kilometer daneben. Als unbedarfte
Amateure waren Vampire Weekend vor allem auf west- und zentralafrikanischen
Tanzflächen unterwegs. 

Zwei weitere Alben verfeinerten die
Herangehensweise der Band und erreichten jeweils Platz eins der US-Charts.
Vampire Weekend gehörten plötzlich zu den letzten künstlerisch und kommerziell
aussichtsreichen Rockgruppen der Welt. Scheinbar mühelos überwanden sie die
Konventionen eines klassischen Band-Line-ups, eigneten sich Produktionstricks
aus den Hitfabriken des Plastikpop an und schworen diesen auf neue emotionale
Wucht ein. In Verbindung mit ihrem offensiven Preppy-Boy-Auftreten kam gerade
Letzteres einer Provokation gleich: Mancher Röhrenjeansträger wollte sich keine
Zukunft der Rockmusik ausmalen, die in Ralph-Lauren-Sweatern, Segelschuhen und
farbenfrohen Windbreakern daherkam.

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