/Kevin Kühnert: Macht er die SPD zur SED?

Kevin Kühnert: Macht er die SPD zur SED?

Man macht sich ja keine Vorstellung davon, welche Arbeit
Parteien in ihre Grundsatzprogramme stecken. Die versiertesten Theoretiker und
klügsten Programmatiker einer Partei tüfteln monatelang an jeder Formulierung,
sie wägen das Für und Wider jeder Zwischenüberschrift ab und am Ende muss sich ein
Parteitag mit Hunderten von Änderungsanträgen beschäftigen.

Was dann schließlich beschlossen wird, ist das in Worte
gegossene Selbstverständnis einer Partei, ihre Positionsbestimmung, und zwar,
wie der Name schon sagt: nicht wahltaktisch, sondern eben grundsätzlich.

Im Jahr 2007, nach den Verunsicherungen der Schröder-Jahre,
war es für die SPD an der Zeit, sich ihrer Selbst zu vergewissern, sie
beschloss das Hamburger Programm, in dem der zweite Satz lautet: “Den Menschen
verpflichtet, in der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus, mit Sinn
für Realität und mit Tatkraft stellt sich die deutsche Sozialdemokratie in
der Welt des 21. Jahrhunderts ihren Aufgaben.”

Dieser demokratische Sozialismus wird auf den folgenden
Seiten als einer der zentralen – und von Sozialdemokraten gern öffentlich
beschworenen – “Grundwerte” der Partei beschrieben. Der demokratische
Sozialismus sei das Ideal einer “Gesellschaft der Freien und Gleichen”, welches
durch das Ende des Staatsozialismus “nicht widerlegt” wurde. Vielmehr sei
es  die “dauernde Aufgabe” der
Sozialdemokratie an der Verwirklichung ihrer Vision einer “freien, gerechten
und solidarischen Gesellschaft” zu arbeiten.

So weit also die Grundsatzprogrammatik.

Nun hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert etwas eigentlich
sehr Jusohaftes getan: Er hat seine Partei an ihre eigenen Ideale erinnert. In
einem Interview mit der ZEIT
hat Kühnert darüber nachgedacht, wie diese “freie,
gerechte und solidarische Gesellschaft”, die die SPD zu ihrem Ziel erklärt hat,
zu erreichen ist und was sich dafür in der Ökonomie ändern müsste. Kühnert
stellte dabei die klassische Frage nach der Verteilung des Mehrwerts, er dachte
darüber nach, ob Formen der genossenschaftlichen Organisation von Unternehmen
nicht möglicherweise gerechter wären, er stellte die Frage, warum manche
Rendite erwirtschaften mit Wohnraum, den andere zum Leben brauchen.

Kühnert forderte in diesem Gespräch nichts, vielmehr dachte
er laut und nachlesbar nach – und stellte in diesem Nachdenken weder das
Marktprinzip infrage, noch rief er zur Revolution auf. Doch was er sagte,
genügte, um Teile seiner Partei in eine Aufregung zu versetzen, die wiederum
ihrerseits sehr aufschlussreich war.

Den Anfang machte der Chef des Seeheimer Kreises, Johannes
Kahrs
, der sich zunächst erkundigte, was Kühnert “denn geraucht habe” und
anschließend mit beeindruckender Ausdauer Dutzende Tweets absetzte, in denen er
Kühnert “unsolidarisch” nannte und ihm vorwarf, im Wahlkampf der Partei zu
schaden.

Und noch bevor man angefangen hatte, darüber nachzudenken,
warum man von diesem Wahlkampf eigentlich bislang so wenig mitbekommt und ob
das nicht womöglich auch etwas mit dem seltsamen Solidaritätsbegriff von Leuten
wie Kahrs zu tun hat, legten andere in der Partei nach.

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