/Helena Christensen: 50? Zack, Kartoffelsack!

Helena Christensen: 50? Zack, Kartoffelsack!

Ich hätte mir diese Jeans mit dem Loch am Knie doch nicht kaufen dürfen. Denn es könnte ja jemand mein Knie zu sexy finden. Oder zu runzelig. Oder die Hose würde eine deutlich jüngere Trägerin erwarten lassen. Aber egal, ob zu sexy oder zu unsexy: Jede dieser Assoziationen wäre für eine Frau meines Alters voll daneben, findet Alexandra Shulman. Und die ist nicht irgendwer in Sachen Stil. 25 Jahre gab sie als Chefredakteurin der Vogue in Großbritannien den Ton in Sachen Mode an. Und in ihrer Kolumne für die Daily Mail hat sie nun dargelegt, dass Frauen sich nur dann auffällig oder aufreizend kleiden dürften, wenn sie biologisch noch entsprechend einsatzfähig sind. Schließlich führe die Diskrepanz zwischen dem, was die Klamotte verspreche und der Frau, die drin steckt, zwangsläufig zu einer tragischen, ja lächerlichen Erscheinung. Sinngemäß will sie uns sagen: Wer keine Kinder mehr bekommen kann, sollte die Knie bedeckt halten. Und die Brüste sowieso.


Dass alles andere eine absolute Verfehlung ist, wollte Shulman, 61, uns ausgerechnet am Beispiel des Ex-Supermodels Helena Christensen, 50, beweisen. Die trug zu einer Geburtstagsfeier in New York eine Jeans, übrigens ohne Löcher, und als Top eine schwarze Spitzenkorsage. Mal abgesehen davon, dass bei diesem Anblick wohl kaum jemand an eine drohende hormonelle Umstellung und eine beschauliche zweite Lebenshälfte denken musste: Dass Alexandra Shulman dazu schreibt, es habe etwas Verstörendes, ja leicht Tragisches, einen Frauenkörper zur Schau zu stellen, der keinen Gebärzweck mehr erfülle – das ist an Frauenverachtung nur schwer zu toppen. 50, zack, Kartoffelsack!

Nun, wie kommt sie darauf? Ganz einfach. Über den Umweg des Mannes: Während Männer sich bis ins Grab einen Status als Sexsymbol erhalten könnten, sei das für Frauen komplizierter. Denn, und das sei ein Fakt: Als Gesellschaft würde uns Sexualität, die nicht von Fruchtbarkeit begleitet werde, beängstigen, schreibt Shulman. So hätten männliche Faltenträger (“Wrinklies“) den Vorteil, dass sie im Verbund mit Jahrzehnte jüngeren Partnerinnen beweisen könnten, dass mit ihrer sexuellen Funktion noch alles in bester Ordnung sei. Schließlich sei Richard Gere mit 69 gerade Vater geworden und Rolling-Stones-Rockstar Ron Wood führe mit über 70 seine dreijährigen Zwillinge spazieren. Und weil Frauen das eben nicht könnten – so Shulmans Logik – sei es peinlich, wenn sie Klamotten anziehen, die irgendeine Art von Sexyness ausstrahlen. Da wird jeder Minirock zur Mogelpackung. Was sagt eigentlich Brigitte Macron dazu?

Zwar haben wir heute eine grobe Idee davon, dass alle Menschen ihre Sexualität und ihre äußerliche Erscheinung frei bestimmen können. Dass niemandem vorgeschrieben werden soll, was sie oder er an sich und anderen attraktiv, angemessen oder stilvoll findet. Natürlich wurde Helena Christensen vehement verteidigt, unter anderem von Ex-Kolleginnen wie Naomi Campbell und Linda Evangelista, und reagierte selbst edelmütig. Doch der Rant der Ex-Vogue-Chefin zeigt eben auch: Besonders weit sind
wir noch nicht gekommen. Die Frauen, die gängige Schönheitsideale
erfüllen, dürfen ihre Reize ungestraft zur Schau stellen – die anderen
aber besser nicht. Nicht umsonst quälen sich junge wie alte Frauen mit
Diäten, werden Schönheitsoperationen immer beliebter und Anzeichen des
Älterwerdens zunehmend weggespritzt oder gephotoshoppt.

Bis heute sind unter Frauen Annahmen verbreitet, die zeigen, wie tief der Schmerz sitzt, nicht schön, nicht jung, nicht genügend zu sein: “Ab 40 sind lange Haare peinlich.” – “Die Zeit von Shorts habe ich hinter mir.” – “Ärmellose Tops sind nur etwas für Teenager.” – Millionen Frauen denken und sagen solche grausamen Dinge zu sich und zu anderen. Und Mütter sagen es ihren Töchtern. Es sind diese Gedanken, die immer noch dazu führen, dass gestandene Vorstandsvorsitzende mit Tränen in den Augen und dem engen Rock in der Hand nach Feierabend in der Umkleidekabine stehen. Weil es eben nicht okay ist, so auszusehen, wie die Frau, die man ist. 


“Egal wie prall deine Brüste, wie toll deine Beine sein mögen und wie straff deine Oberarme: Wenn wir altern, sieht unsere Kleidung einfach nicht mehr aus wie früher. Weil es um die Person geht, die drinsteckt, nicht um die Stücke selbst”, schreibt Alexandra Shulman. “I’m sorry Helena Christensen, you ARE too old to wear that”.  Kann man als Frau andere Frauen noch fieser vors Knie treten als mit dieser Botschaft? Selbst Frauen, die jenseits der 50 noch aussähen wie junge Hüpfer, sollten es hinnehmen, dass sie in unserem Kulturkreis bis heute mit jedem Jahrzehnt ihres Lebens tiefer in die Unscheinbarkeit aus praktischen Frisuren, gedeckten Farben und weiter werdenden Schnitten zu sinken haben. Dieser Tatsache müsse auch ein ehemaliges Supermodel ins Auge sehen. Zack, schon ist Helena Christensen zur verwelkten, verzweifelten Schabracke geworden, dabei wollte sie einfach nur mit einer Spitzencorsage feiern gehen.  


Warum können wir Alexandra Shulman nicht einfach ignorieren? Weil sie sich einreiht in einen Chor aus Parolen, die offenbar gerade wieder en vogue werden. In Zeiten, in denen rechte Populisten mehr Gehör finden und postfaktische Denkmuster an Macht gewinnen, scheint auch eine tiefsitzende Frauenfeindlichkeit auf ihr Comeback zu warten. In den USA regiert ein offen sexistischer Präsident und findet eine Anhängerschaft, der das nicht nur egal ist, sondern die sich mit dieser Haltung abgeholt fühlt. Hierzulande macht Annegret Kramp-Karrenbauer, Anwärterin aufs Kanzlerinnenamt, Witze über das dritte Geschlecht und trifft damit bei einigen ins Schwarze, die finden, die Politik habe wohl den Bezug zum Volk verloren, wenn sie sich mit Albernheiten wie gendergerechter Sprache befasse. Stimmt: Es geht ja auch nur um ein in unserem Grundgesetz verankertes Grundrecht, für sein Geschlecht nicht diskriminiert zu werden.


Liebe Frau Shulman, mir tut es auch leid. Denn ich habe diese Hose mit dem Loch gekauft, obwohl ich schon Mitte Vierzig bin und damit vermutlich hart auf die Grenze der Nichtgebärfähigkeit zugehe – die Errungenschaften der Reproduktionsmedizin mal dahingestellt. Übrigens habe ich mich vorm Shoppen nicht bei meinem Frauenarzt erkundigt, wie es um die Frische meiner verbliebenen Eizellen steht. Vielleicht hätte ich das noch dazu sagen müssen, als ich den keine 30 Jahre alten Verkäufer halb im Scherz, aber doch auch aus ehrlicher Verunsicherung fragte, ob er findet, dass es peinlich rüberkommen könnte, in meinem Alter eine Jeans anzuziehen, die aussieht, als könnte meine nicht existente Tochter sie anhaben. “Wir haben im Moment keine ohne Löcher”, sagte er. “Probier’ doch mal an! Sieht an Alten gar nicht so scheiße aus, wie man denkt.” Irgendwie hat mich das überzeugt. I’m sorry Alexandra Shulman, I AM too old to give a shit.

Hits: 6