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Pferde: Jenseits von Wendy

Ihre erste Liebe ist die karamellfarbene Ponydame Fee, Schulferien verbringt sie am liebsten mit Ausmisten, Reitlehren zitiert sie aus dem Effeff und die Bürste in der Putzbox nennt Jenny Friedrich-Freksa selbstverständlich Kardätsche. Und sie hat eine Frage: “Wie schreibt man als Frau über die Liebe zu Pferden, ohne in die Pferdemädchen-Ecke gestellt zu werden?”

Wer ernst genommen werden will, setzt am besten auf Expertise – und die beweist die 1974 in Berlin geborene Journalistin in ihrem nun bei Hanser Berlin erschienenen Großessay Pferde ziemlich umfassend: Kulturgeschichte, Anatomie, ein bisschen Reiter-ABC – das alles kommt vor. Doch sie scheut auch nicht das Risiko, das in dieser Hinsicht die intensive Beschreibung von Glücksmomenten birgt: das erste Mal Hufe auskratzen, der erste Galopp im Rapsfeld, der erste Ausritt im Schnee. Oder besser: ins Winterwunderland.

Sprachkitsch sollte man aushalten können, wenn man von Friedrich-Freksa, die das Thema auch schon als Gastautorin für ZEIT ONLINE bearbeitet hat, etwas über ihre Lieblingstiere erfahren will. Reiten klingt bei ihr zum Beispiel so: “Die Bewegungen der Pferde werden noch gelöster, nach vorne drängend schweben sie jetzt fast über dem Boden und wir, der Leichtigkeit folgend, schweben auch.” Das Reflektieren über die eigene Faszination klingt so: “Pferde sind eine Insel weit weg von den großen Städten und den Zumutungen sich ständig überschlagender Ereignisse.” Aber nicht alles ist rosig in dieser Liebeserklärung. Auch umgekippte Mistschubkarren, blutiger Bremsenmatsch auf schweißnassem Fell, heftige Stürze oder der stille Tod des eigenen Tieres finden ihren Platz. Von den kleinen und großen Traumata des Reiterinnendaseins erzählt die Autorin, ohne sie zu verplüschen.

Für alle, die sich nur mäßig für Stallsentimentalitäten begeistern können, wird es aber dann interessant, wenn es um den Mythos Frauen und Pferde geht. Über 6.000 Jahre lang war das Pferd Machtinstrument, Ackergaul, Transporttier oder Schlachtross von überwiegend Männern. Heute ist es Freizeitpartner und der Stall mit 77 Prozent Reiterinnen zum weiblichen Soziotop geworden. Wie kam es dazu? Und warum wird ein Hobby als “Mädchen-Empfindsamkeit” oder “niedlicher Gefühlsschwang” abgewertet, wie die Autorin zitiert? Jenny Friedrich-Freksa, im normalen Leben Chefredakteurin der Zeitschrift Kulturaustausch, lässt Wissenschaftlerinnen, Psychologen und Sigmund Freud zu Wort kommen. Die einen machen den vermeintlich angeborenen weiblichen Bindungsdrang verantwortlich für das Dreamteam Frau und Pferd (interessanterweise hören viele Mädchen mit dem Reiten auf, wenn sie ihren ersten Freund haben), die anderen sehen im Reiten eine Überwindung der Mädchenrolle. Freud erklärt die weibliche Pferdebegeisterung, klar, zum Symbol für Sex.

Die Autorin findet am Ende selbst gute Gründe dafür, sich und alle anderen aus ihrem Pferdemädchen-Image zu befreien. Wahre Ponyliebe zeigt sich für Friedrich-Freksa nämlich nicht in der Anzahl von Wendy-Postern, sondern in der letztlich geschlechterübergreifenden Sehnsucht nach Autonomie, Naturerfahrung und Geschwindigkeit. In diesem Kontext auch wichtig: Pferde eignen sich nicht als Kuscheltiere, sondern sind als Fluchttiere ziemlich unberechenbar. In Zahlen: Reiten belegt Platz eins der gefährlichen Sportarten für Frauen.

Es ist solchen gut recherchierten Fakten in Kombination mit den persönlichen Beobachtungen zu verdanken, dass sich Pferde nicht in die Kategorie “Just another Pferdebuch” einreiht. Nur ein Aspekt bleibt auf der Strecke: die gnadenlose Ausbeutung des Tieres als Sportobjekt, die doch oft kaum von einer oberflächlichen “Pferdeliebe” zu trennen ist. Menschen verkitschen ihre Tiere mit Kosenamen, sie hübschen ihre Mähnen mit Turnierschleifen auf, füttern ihnen “Winterzeit-Müsli” und zahlen Arztbesuche im Wert von Kleinwägen – und doch verbringen Sportpferde den Großteil ihres Lebens in Boxen und werden in der modernen Dressur– und Springreiterei durch Gebiss, Sporen, Gerte und allerlei Schnürmaterial gefügig gemacht. Kein Wort findet sich bei Friedrich-Freksa zum Beispiel über die Rollkur, eine in Profi-, aber auch in Hobbyreitställen weit verbreitete Trainingsmethode, bei der das Pferdemaul bis zur Brust gezerrt wird, so dass Sichtfeld und Atmung der Tiere auf ein Minimum begrenzt werden.

Reiten ist eine Unterhaltung über den Körper, resümiert Friedrich-Freksa. “Das eigene Kreuz kommuniziert mit dem Rücken des Pferdes, die Unterschenkel mit den Seiten des Bauches, die Hände mit dem Maul.” Doch meist bestimmt der Reiter, wie angenehm diese Unterhaltung auch für das Pferd verläuft – nicht selten geht das “einzigartige Gefühl der Freiheit, das man auf dem Pferderücken erlebt”, mit der Unfreiheit des Tieres einher. Davon sollte das nächste Pferdebuch erzählen.

Jenny Friedrich-Freksa: “Pferde”. Hanser Berlin 2019. 192 Seiten, 18 Euro.

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