/Kommunalwahlen in Großbritannien: Mister Hillier kämpft lokal

Kommunalwahlen in Großbritannien: Mister Hillier kämpft lokal

Stephen Hillier kratzt sich am Kinn und überlegt einen Moment. “Sieht die Konservative Partei ihrem Ende entgegen?”, wiederholt er die Frage, und antwortet schließlich: “Ich glaube nicht. Aber wenn wir den Brexit nicht umsetzen, dann sitzen wir in der Tinte.” Hillier, ein rundlicher Mann mit Pferdeschwanz, sitzt seit 19 Jahren für die Tories im Gemeinderat von Basildon, einer mittelgroßen Stadt östlich von London. Das Sitzungszimmer des lokalen Parteiverbands liegt im ersten Stock des Gemeindezentrums. Von hier überblickt Hillier den belebten Marktplatz im Stadtkern. Es ist einer der EU-skeptischsten Landstriche, fast 69 Prozent der Wähler stimmten hier 2016 für den Brexit.

Bei der letzten Lokalwahl vor einem Jahr errangen die Tories die Mehrheit im Gemeinderat. Sie profitierten damals vom Kollaps von Nigel Farages damaliger Partei, United Kingdom Independence Party (Ukip), die nach dem gewonnenen Brexit-Referendum ihren Zweck verloren hatte. Die EU-kritischen Wählerinnen und Wähler setzten darauf, dass die Tories das Land aus der EU führen würden.

“Schau dir doch das Brexit-Chaos an”

Jetzt wird wieder gewählt in Großbritannien, auf lokaler Ebene zwar nur. Aber es dominiert ein Thema: der Brexit. Den Tories graut daher vor den Lokalwahlen. Die Partei könnte landesweit bis zu 1.000 Sitze verlieren. Das Chaos der letzten Monate, die Verschiebung des Brexit-Termins, die Weigerung des Parlaments und der Regierung, ohne Deal aus der EU zu scheiden, sorgen bei der Parteibasis und bei vielen Brexit-Wählern für Verärgerung.

“Wenn ich Haustürwahlkampf mache, sagen mir unzählige Leute: Schau dir doch das Brexit-Chaos in Westminster an – ich werde nicht für euch stimmen”, klagt Hillier. Er leitet die Kampagnen von drei Kandidaten in der Stadt, in 14 der 16 Wahlkreise von Basildon werden die Sitze neu besetzt. “Ich antworte dann jeweils: Ich bin auf eurer Seite, auch ich will den Brexit, ich will, dass wir endlich rausgehen!” Allerdings hat er als Councillor, als Lokalpolitiker, überhaupt keine Mittel, den Willen der Brexit-Wähler in Westminster durchzusetzen. Entsprechend versucht er, das Gespräch auf das zu lenken, worum es in den Wahlen eigentlich gehen sollte: “Lokale Angelegenheiten – Dienstleistungen, Wohnungspolitik, saubere Straßen, solche Dinge. Wenn wir darüber sprechen, dann hören die Leute meist zu.”

Kommunalwahlen in Großbritannien: Stephen Hillier, Lokalpolitiker von den Tories, muss im Wahlkampf viel über den Brexit sprechen.

Stephen Hillier, Lokalpolitiker von den Tories, muss im Wahlkampf viel über den Brexit sprechen.
© Peter Stäuber

Die Tories im Unterhaus wie an der Basis sind gespalten. Nicht wenigen gehen die harten Brexit-Anhänger – etwa Jacob Rees-Mogg oder Boris Johnson – auf die Nerven. Nicht so Hillier. Er zeigt er mit dem Finger auf die Wand. Dort hängt ein kleines Plakat mit der Aufschrift: “No Deal? No problem.” Er sei zwar kein glühender Brexit-Anhänger und vertrete eine “pragmatische Haltung”, aber er sehe der Möglichkeit eines Austritts ohne Vertrag gelassen entgegen. “Womit ich hingegen sehr wohl ein Problem habe, sind die Leute, die der Regierung die Unterstützung verweigern und dafür sorgen, dass diese ihren Deal nicht durchbringen kann.” Die betreffenden Abgeordneten sollten sich fragen, ob der Vorschlag von Theresa May nicht doch der bestmögliche ist.

Die Premierministerin kennt Hillier schon lange, heute tut sie ihm manchmal leid. Anfang der 1990er-Jahre, als May als Kandidatin für einen Parlamentssitz in London antrat, ging er gemeinsam mit ihr auf Wahlkampftour. Er war schon damals sicher, dass sie es mal zu etwas bringen werde. Die ganzen Brexit-Probleme seien nicht allein ihre Schuld, meint Hillier: “Sie wurde von ihrer Fraktion völlig im Stich gelassen.” Das den Wählerinnen und Wählern klarzumachen, ist jedoch schwieriger.

Welchen Einfluss haben lokale Wahlen?

Wie tief der Vertrauensverlust bei den EU-kritischen Briten geht, lässt sich am rasanten Aufstieg der Brexit Party ablesen. An deren Spitze poltert der ehemalige Ukip-Chef Nigel Farage gegen die EU, Westminster und den “Brexit-Verrat”. Die Partei wurde erst vor wenigen Monaten gegründet, hat aber bereits Zustimmungswerte von 20 bis 30 Prozent. Selbst viele konservative Lokalabgeordnete finden Farages neues Vehikel vielversprechender als ihre eigene Partei. Eine Umfrage ergab, dass 40 Prozent der Tory-Councillors bei der Wahl zum Europaparlament für die Brexit-Partei stimmen wollen, nur 52 Prozent für ihre eigenen Tories. Viele hätten Farage gern gleich als Tory-Parteichef – nur Boris Johnson ist beliebter.

Bei der Lokalwahl tritt die Brexit-Partei nicht an und Ukip hat nur etwas mehr als 1.400 Kandidaten aufgestellt, rund ein Sechstel der über 8.300 Sitze, die zur Wahl stehen. In Basildon ist kein Ukip-Kandidat am Start. Das dürfte den Tories helfen, aber Hillier bleibt vorsichtig: “Wir wissen nicht, wie sich dieser Umstand auf die Wahl auswirken wird. Mit Sicherheit wird jedoch die Beteiligung entscheidend sein.” In der Regel nimmt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung an Lokalwahlen teil – letztes Jahr gingen in manchen Wahlkreisen von Basildon gerade mal 20 Prozent der Einwohner zur Abstimmung. Hillier befürchtet, dass viele Tory-Wähler aus Protest gegen die Brexit-Politik der Regierung zu Hause bleiben werden.

Die Lokalwahlen werden die Politik in Westminster kaum beeinflussen und wegen der geringen Wahlbeteiligung sind die Resultate oft schwer zu interpretieren. In diesem Jahr wird jedoch eine drohende schwere Niederlage der Tories als klares Signal gelesen werden, dass die Regierung mit ihrer Brexit-Politik gescheitert ist. “Manche sagen, es werde ein Gemetzel von Tories geben”, sagt Hillier. “Das glaube ich nicht. Aber es wird darauf ankommen, ob wir die nötige Arbeit in die Wahl stecken.” Er werde sich gleich nach dem Gespräch nochmal auf den Weg machen, um an ein paar Türen zu klopfen.

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