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Fernsehen: Was für ein geiles Teil

Wer jung ist, feiert den Verzicht. Auch unser Autor: Er fand Fernseher lange spießig. Jetzt schaut er abends Serien auf 48 Zoll. Denn erwachsen sein heißt maßlos sein.

Lange Zeit waren mir nur Segway-Roller so unsympathisch wie Fernseher. Als Student erklärte ich lineares Fernsehen zu etwas, das ich nie mehr tun wollte. So wie andere mit dem Fleischessen aufhörten oder mit der monogamen Liebe, so sagte ich Lebewohl zum Fernseher. Es war ein Akt der spätpubertären Rebellion und fühlte sich an, als würde ich dadurch vom passiven Kind, das sich berieseln lässt, zum selbstbestimmten Menschen, der jetzt erwachsen ist.

Ich vertraute lieber auf das Internet. Lineares Fernsehen gehörte für mich nicht in die Wohnung, sondern ins Geschichtsbuch. Entdeckte ich in einem WG-Zimmer meiner Kommilitonen auf einem Billy-Regal einen Bildschirm mit Kabelanschluss, behielt ich die Skepsis darüber zwar für mich. Aber insgeheim dachte ich: Wie kann er nur?

Wer jung ist, berauscht sich am Verzicht

Zugegeben, viele solcher Momente habe ich nicht erlebt. Denn einen Fernseher hatte ohnehin so gut wie niemand. Unter Jüngeren ist der Fernseher ein Symbol der Bräsigkeit und Langeweile, eine Bankrotterklärung an den eigenen Intellekt. In Wohnungen von unter 30-Jährigen, die einigermaßen stilvoll aussehen sollen, gehören einfach keine Fernseher. Verzeihbar sind 40 Jahre alte Geräte, die kaputt sind und somit ironisch. In schönen Wohnungen schaut man vom Sofa auf die Buchrücken seiner Bibliothek. Man berauscht sich am Verzicht.

Denn wer fernsieht, hat die Wahl zwischen Tatort und Dschungelcamp, zwischen schlimm und schlimmer. Wer fernsieht, kennt kein Netflix. Wer fernsieht und Anfang 20 ist, gehört zur Gruppe der jüngsten Rentner der Welt.

Lieber schaute ich Breaking Bad auf meinem trüben Laptopdisplay, als den alten Fernseher aus meinem früheren Kinderzimmer in meine WG zu tragen. Lieber strapazierte ich den müden Akku meines Smartphones noch ein bisschen mehr und schaute darauf Filme. Bis vor Kurzem.

Als sich wie jedes Jahr der Konsumfeiertag Black Friday näherte, nahm ich Amazon das Versprechen ab, jetzt die einmalige Chance zu haben, nur die Hälfte zu zahlen. Ich wollte 48 Zoll. Zwei Tage später hing er an der Wand.

Sein Sound ist wuchtig, die Farben satt. Er hat Triple Tuner. Was das ist, weiß ich nicht, aber es klingt gut. Der Bildschirm spiegelt nicht, er ist angenehm matt, auch wenn die Sonne darauf scheint. Dass ich mich darüber freue, war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Ich musste erst begreifen, dass ich den Fernseher brauche wie das Markenshampoo und die teuren Laufschuhe von Nike.

Denn erwachsen sein heißt maßlos sein.

Manchmal reicht das Feierabendbier in der Lieblingskneipe und In-der-Sonne-Liegen an der Isar eben nicht aus. Mein Fernseher bringt Glück auf Knopfdruck, und zwar zuverlässig: Selbst die Tagesschau fühlt sich darauf nicht mehr an wie eine Hausaufgabe, erteilt von der Bundeszentrale für politische Bildung, sondern fast wie ein Besuch im Kino. Der Winter ist lang und grau. Macht nix. Ich lasse mich bestrahlen vom Farbspektrum meiner zwei Millionen Pixel.

Was für ein geiles Teil.

Früher war ein Fernseher ein Nachweis für einen bestimmten Status. Wie eine dicke Armbanduhr, Lacoste-Poloshirts oder ein teures Steak. Muss eigentlich nicht sein, macht aber trotzdem Spaß. Heute prahlt man mit Wohlstand nicht mehr so freimütig; ein guter Fernseher kostet halb so viel wie ein neues iPhone. Aber froh ist man ja immer noch, wenn man sich wohlfühlt – auch materiell. All die Bastel-, DIY-, und Upcyclingbewegungen der letzten Jahre haben Konsumkritik zur Praxis gemacht, und sie sind großartig. Genauso großartig ist es aber, einen Film auf dem neu gekauften Fernseher zu schauen und zu denken: Was für ein geiles Teil.

Mein fetter Fernseher passt nicht zu dieser Zeit des portionierten und geteilten Konsums, bei dem einem ein geliehenes Auto nur für acht Minuten gehört, weil man es am nächsten Supermarktparkplatz wieder abgibt. Der Fernseher ist nichts Flüchtiges, ihn kann man nicht in die Hosentasche stecken. Er ist präsent. Er steht für einen Schritt des Erwachsenwerdens, für das Ende des Understatements der Studienzeit, das ja oft auch nur eine Pose war.

Denn, auch das merke ich jetzt, in der Zeit meines inneren Widerstands hat mich der Fernseher nie verlassen. Ich habe ihn bloß verleugnet. Auch als ich studierte, hätte man mich nachts mit zwei Promille wecken können – zu jeder Zeit hätte ich über meine alte Fernbedienung Bescheid gewusst: Auf Taste zwei liegt das ZDF, auf der sechs RTL II, auf der 22 DSF. Und auf der 17 rauscht das Bild, denn da ist kein Sender belegt. Der Fernseher ist Teil von mir, seit ich darin mit zwei oder drei Jahren zum ersten Mal das Sandmännchen gesehen habe. Dass ich ihn so lange verleugnete habe, fühlt sich beinahe an wie der Verrat an einem guten Freund.

Mein Fernseher steht für ein Leben in Dolby-Surround-Qualität

Als Kind sah ich durch den Fernseher, wie ich eines Tages selbst werden wollte. Bei Malcolm mittendrin beneidete ich den jungen Malcolm, der kaum älter war als ich, um sein chaotisches Leben. Die Serie lief erst gegen 22 Uhr, und weil ich sie trotzdem schaute, tat ich etwas Verbotenes. Der Fernseher und ich, wir hingen zusammen ab. Wenn Freunde bei mir übernachteten, stolperten wir über die ersten Softpornos und Horrorfilme unseres Lebens. Weil YouTube noch nicht so gut gefüllt war wie heute und es noch keine Smartphones gab, war der Fernseher das Tor zu einer unbekannten, exklusiven Welt.

Heute ist mein Fernseher etwas anderes. Er steht für das Ideal einer Welt in High Definition, für ein Leben in Dolby-Surround-Qualität.

Vielleicht sehe ich das so, weil die Zeit der Tequilapartys vorbei ist, nach denen ich aus dem Studentenclub wankte und nur vier Euro ärmer war. Weil das Aldi-Pesto, das ich mehrmals pro Woche über meine Spaghetti kippte, nicht mehr schmeckt. Wichtiger als Marken und Komfort waren Experimente und Exzess. Die Maßlosigkeit der Jugend ist immateriell. Auch weil man kein Geld hat für materielle Maßlosigkeit.

Die Zeit der Entbehrungen ist vorbei.

Nun aber kaufe ich mir den Burger, der am besten aussieht und nicht den, der am besten satt macht. Anstatt mir illegal Musik zu besorgen, wächst meine Schallplattensammlung. Im Hostel laufe ich am Zwanzigerschlafsaal vorbei und übernachte im eigenen Zimmer. Etwas in mir sagt: Komm schon, das hast du dir verdient. Die Zeit der Entbehrungen ist vorbei. Dabei sind in einem Teil meiner Socken noch immer Löcher.

Ohne Widersprüche geht es nicht. Das merke ich, wenn ich vor meinem Fernseher sitze und mit ihm einen Abend verbringe, der mir besonders gut gefällt. Bevor ich ihn einschalte, mache ich mir ein billiges Bier auf, das schon mein 16-jähriges Ich getrunken hat, und öffne eine Tüte Kartoffelchips. Denn eines bleibt ja immer so: Das Teure strahlt nur neben dem Billigen besonders schön.

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