/Vorzeitiger Samenerguss: Wieso bin ich immer viel zu schnell am Ziel?

Vorzeitiger Samenerguss: Wieso bin ich immer viel zu schnell am Ziel?

In unserer Kolumne “Schlafzimmerblick
beantwortet die Sexualtherapeutin Angelika Eck regelmäßig Ihre Fragen
zu Liebe, Sex und Partnerschaft. Denn über nichts wird häufiger
geschwiegen. Das wollen wir ändern. 

Tim, 28 J.: Nach einiger Zeit als Single habe ich seit drei Monaten eine neue Freundin. Ich finde sie umwerfend und bin krass verliebt. Was mich allerdings völlig zur Verzweiflung treibt: Jedes Mal, wenn wir Sex haben und mein Penis in ihre Vagina gelangt, ejakuliere ich sofort. Ich kannte das Problem bisher nicht. Es ist mir unglaublich peinlich. Ich versuche mich zu kontrollieren, aber es geschieht einfach. Natürlich mimt sie Geduld, aber wie lange noch? Was kann ich tun?

Der frühzeitige Samenerguss, also die Ejakulation nach nur wenigen Bewegungen des Penis in der Vagina, kann von vielen Faktoren beeinflusst sein. Manche Männer haben ihr Leben lang damit zu tun, dann können genetische und neurophysiologische Einflüsse mit hineinspielen, chronisch hohe Anspannung ebenso. Bei Ihnen klingt es eher nach einem situationsbedingten Phänomen, und die Situation an sich ist unglaublich schön: Sie sind bis über beide Ohren verliebt!

Das Bild des sexuell in jeder Lebenslage kontrolliert potenten Mannes ist zwar immer noch beliebt, aber weder realistisch noch nützlich. Ich weiß nicht, ob Sie es gern hören, wenn ich Sie als empfindsamen Mann ansehe, dessen Organismus im Einklang mit seinem Erleben funktioniert. Sie erleben eine besondere (genitale) Ausdrucksform davon: Möglicherweise zeigt Ihre unmittelbare Entladung, wie begeistert Sie von Ihrer Partnerin sind. So begeistert, dass Ihr Verlangen mit Ihnen durchgeht.

In einer neuen Beziehung, zumal wenn sie besonders wichtig ist, bewegen wir uns gefühlt am Abgrund: Liebt sie mich? Will sie mich wirklich? Nimmt sie mich rückhaltlos an, so wie ich bin? Bin ich ein guter Liebhaber in ihren Augen? Kann ich sie befriedigen? Erregung, Aufregung und Anspannung gehen fließend ineinander über. Ihr Organismus ist im Stress und reagiert mit entsprechenden Reflexen. Er ist aber nicht nur im Stress, sondern Ihre Aufmerksamkeit ist vermutlich ganz stark auf Ihre Partnerin und deren Schönheit, Sexyness und vor allem ihr Wohlbefinden gerichtet. Das ist einerseits toll. Andererseits sind Sie dann nicht hinreichend bei sich. Wieso sollten Sie das sein? Damit Sie spüren, was in Ihrem eigenen Körper los ist. Nur wenn Sie von einem frühen Zeitpunkt an bewusst wahrnehmen, wie angespannt oder wie erregt oder wie beides auf einmal Sie sind, haben Sie die Chance, damit aktiv umzugehen.

Zunächst würde ich zur Freundin sagen: “Ich muss mich erst an deine wundervolle Anwesenheit gewöhnen. Ist das okay? Darf ich mich darin üben, dich mit mehr leidenschaftlicher Ruhe zu genießen?” Wenn sie Sie liebt und halbwegs selbstbewusst ist, wird sie  dann lachen und Ja sagen. Wenn sie darüber hinaus noch erotisch klug ist, wird sie Ihnen helfen zu pausieren, zu atmen, Zeit zu nehmen und eine ganz eigene Choreografie mit Ihnen entwickeln.

Und jetzt, was Sie selbst tun können: Sport und Entspannungstechniken können nie schaden, um das generelle Anspannungsniveau zu senken. Vor allem geht es aber ums Üben. Üben Sie, Ihren Erregungsverlauf bewusster wahrzunehmen und Ihren Körper so einzusetzen, dass Sie die Spannung halten und gleichzeitig immer wieder ein wenig loslassen können. Beginnen Sie bei der Selbstbefriedigung. Vermutlich fällt es Ihnen dort leichter, den Spannungsbogen zu verlängern. Spielen Sie mit der Erregung. Beobachten Sie, wie Sie das machen. Ganz wichtig ist es, die eigene Erregungskurve von Beginn an zu spüren, nicht erst kurz vor dem berühmten “Point of no return”, denn der heißt nicht umsonst so, dann ist es zu spät, weil unwillkürliche Reflexe am Werk sind.

Woran spüren Sie zuerst, dass Sie erregt sind? Und angenommen, Sie wollten diese Erregung nur ganz langsam stärker werden lassen, wie machen Sie das? Vielleicht lenken Sie Ihre Gedanken zwischendurch auf weniger erregende Aspekte. Körperlich hilft es, eine Stimulationspause einzulegen und die Atmung tief bis in den Beckenraum sinken zu lassen, damit dieser sich entspannen und die sexuelle Energie sich breiter verteilen kann. Legen Sie mal die Hand auf Ihren Unterbauch. Hebt und senkt er sich mit Ihrer Atmung? Dann stimmt die Richtung. Wenn Sie Ihr Becken bewegen und die Beckenboden-, Po-, Bauch-, und Beinmuskulatur sowie den Rumpf immer wieder lockern, hat das einen ähnlich günstigen Effekt.

Mit der Zeit können Sie bei der Masturbation gezielt intensive Fantasien mit Ihrer Angebeteten hinzuziehen – das ist dann der Labortest. In der Paarsexualität wäre es möglich, mit anderen Praktiken und verschiedenen Stellungen zu experimentieren, in denen Sie Ihren Körper an Ihrer Partnerin und irgendwann auch mit dem Penis in ihrer Vagina besonders gut bewegen und entspannen können. Genießen Sie die Stadien vor dem Eindringen ganz bewusst, und atmen Sie auch dort tief, legen Sie sich zum Beispiel auf den Rücken, oder stehen Sie. Spüren Sie vor allem immer wieder vor, während und nach der Begegnung bewusst in sich hinein. Auch eine Zeit nach einer raschen Ejakulation eine zweite, entspanntere Runde einzuläuten, kann sinnvoll sein.

Erotik ist kein Ziellauf, sondern Tanz und Spiel. Dazu gehören Schritte, Pausen, Runden, Rhythmen, Überraschungen, Wendungen, Stille und Bewegung. Tanzen und spielen Sie miteinander und geben Sie sich Zeit, dann wird es gut.

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