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Annegret Kramp-Karrenbauer: Schluss mit lästig

So labil ist diese Regierung mittlerweile, dass sie von den kleinsten
Gesten und Befürchtungen destabilisiert werden kann. In dieser Woche etwa beraumte die
CDU-Vorsitzende eine außerordentliche Vorstandssitzung für das Wochenende nach der Europawahl
am 26. Mai an. Eigentlich keine sensationelle Nachricht, nach einer wichtigen Wahl kann sich
eine Partei schon einmal zusammensetzen und reden. Sogleich jedoch wurde im politischen Berlin
spekuliert, ob Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Gelegenheit die sich nicht bewährende
Arbeitsteilung mit der Kanzlerin beenden will oder die große Koalition oder beides. Revolution
und Routine sind kaum mehr voneinander zu trennen.

Sind derlei Spekulationen bloß das Symptom einer leicht erregbaren Öffentlichkeit? Keineswegs, schließlich hat AKK allen Grund, eine solche Sitzung einzuberufen, um das Heft in der Hand zu behalten, wenn die Europawahl für die Union schlecht laufen sollte, wonach es aussieht. Denn danach wird man fragen: Lag es an ihr? Und sie wird sagen wollen: Nein, es liegt an der Konstellation, also der SPD oder dem Nebeneinander von neuer Parteichefin und alter Kanzlerin.

Es gibt aber noch einen tieferen Grund für die endzeitliche Nervosität der Politik: Man muss sich ab und zu die historische Rahmenhandlung vergegenwärtigen, in der sich Schwarz-Rot gerade befindet, um zu verstehen, warum derlei mikroskopische Gesten so bedeutsam sein können. Denn diese Regierung bewegt sich, oder bewegt sich lieber nicht, in drei großen Brüchen: Der Westen, wie wir ihn kannten, existiert so nicht mehr. Die Staaten, die sich zu ihm zählen, marschieren auch nicht länger an der Spitze der Weltgeschichte, vielmehr suchen sie verzweifelt nach Stabilität und Orientierung in einer Welt, die ihnen aus der Hand gleitet. Zum Zweiten stoßen die Industrieländer nun hart an die ökologischen Grenzen ihres Wohlstandsmodells. Binnen weniger Jahre muss plötzlich getrennt werden, was 200 Jahre verbunden war: fossile Energie und Marktwirtschaft. Drittens befindet sich Deutschland am Ende der Ära Merkel, vielleicht der klassischen Volksparteien, gewiss der großen Koalition, womöglich der mittezentrierten alten Bundesrepublik mit ihrer Politik der kleinen und kleinsten Schritte.

Die große Koalition vermag diese drei Brüche kaum zu bewältigten, ja sie kann sie nicht einmal richtig benennen. Stattdessen verwirrt sie sich gerade vollständig, etwa in der deutschen Außenpolitik. Auf einen Appell von Emmanuel Macron an die Bürgerinnen und Bürger Europas, der auch an die Regierung in Berlin gerichtet war, reagierte nicht etwa die Kanzlerin, sondern die CDU-Vorsitzende. Was sie sagte, versendete sich umgehend.

Vergangene Woche wiederum stellte sich der EU-Spitzenkandidat der Union, Manfred Weber, in einer strategischen Frage (der geplanten Pipeline Nord Stream 2) frontal gegen die Kanzlerin – was ihm in seiner Partei sogleich großen Unmut einbrachte, denn die CSU ist traditionell russlandfreundlich, schließlich macht man seit Jahrzehnten gute Geschäfte.

Außenpolitisch ist die Regierung weitgehend unfähig, eine Richtung vorzugeben, jedoch sieht es innenpolitisch nicht besser aus: Am vergangenen Montag gab es gleich drei widerstreitende Statements zur CO₂-Steuer, eines von der CDU, eines von der CSU und eines von der SPD. Klimapolitisch hat die Groko schlicht keinen Plan, im Hintergrund hört man dazu vor allem zweierlei: Ratlosigkeit und Verzweiflung.

Und nun droht der Koalition noch eine weitere Krise, ausgerechnet auf dem Feld, auf dem sie sich bislang am ehesten bewährt hat: dem leidlich vernünftigen Geldausgeben. Die Konjunktur-Erwartungen gehen nach unten und mit ihnen die Einnahmen des Bundes.

Schließlich das Personal: So zittrig ist mittlerweile die Regierung, dass sie sich nicht einmal mehr zutraut, eine zwar sympathische, aber offenkundig unfähige Bildungsministerin zu entlassen – oder einen unendlich müde gewordenen Wirtschaftsminister.

So viel Stagnation in so bewegten Zeiten, da wartet dann alles auf den
großen Bruch. “Ein Vorgehen ohne Beispiel” nannte Merkel es, als sie nach der hessischen
Landtagswahl im Herbst 2018 ihren Rückzug aus der Parteispitze ankündigte und gleichzeitig
ihren Rückzug aus der Politik mit Ablauf der Legislaturperiode. “Das ist ein Wagnis, keine
Frage”, sagte Merkel, aber auch “ein sehr schöner Prozess”. Merkel empfahl ihrer Partei und
der Republik, dieses Experiment zu nutzen und zu genießen.

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