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“The Hole in the Ground”: Irgendwas stimmt mit dem Sohn nicht

Sarah wagt mit ihrem siebenjährigen Sohn Chris einen
Neuanfang. Sie muss raus aus einer gewalttätigen Beziehung, weg vom Vater ihres
Kindes. Das Haus, das sie beziehen, wurde offensichtlich vom Immobilienbüro
Geist & Grusel inseriert: abgelegen im Wald, mit knarrenden Türen und
Dielen, unzuverlässigen Stromleitungen und unheimlich viel Platz für die beiden
allein. Die einzigen Nachbarn in der Einöde machen einen höchst zweifelhaften
Eindruck.

Die Reise in Sarahs neues Leben zeigt der irische Regisseur
Lee Cronin in seinem Langfilmdebüt The Hole In The Ground mit einer
prächtigen Kamerafahrt aus Drohnenperspektive. Die Anspielung an Stanley
Kubricks The Shining ist offensichtlich – und nicht unbedingt das, was man
sich als Omen für einen Umzug wünscht. Kann das gut gehen? Natürlich nicht. Soll
es auch gar nicht.

The Hole In The Ground ist das Paradebeispiel für einen
aktuellen Trend im Kino, bei dem bekannte Genre-Stoffe in einem Genre-fremden
Tonfall erzählt werden: Arthouse-Horror. Cronin will auf das übliche Inventar
und die Mechanismen des Horrors gar nicht verzichten. Im Gegenteil: Er bedient sie mit
Spukhaus, Zerrspiegeln, Flackerlicht und Insektendiät fast
streberhaft, kleidet sie aber neu ein. Er setzt auf eine präzise, ernsthafte
Filmsprache, die im Zweifel das Atmosphärische der Schockwirkung vorzieht. Die
fantastischen Elemente sind von einem auch realistisch interessierten Blick
grundiert. Alles wird mit toller Kameraarbeit eingefangen und von auffällig
ambitionierter Musik akzentuiert.

Die Vergangenheit klebt fest wie eine Tapete

Sarah ist ewig damit beschäftigt, die Oma-Tapete im Flur des
alten Hauses abzukratzen. Die Vergangenheit wird sie trotzdem nicht los. Die Narbe
auf ihrer Stirn kann sie mit ihren Haaren nur verdecken, nicht verschwinden
lassen. Chris hat es als der Neue in der Schule auch nicht leicht, er schottet
sich ab, wirkt depressiv. Nach einem Streit (über den abwesenden Vater) läuft
er davon. Sarah kann ihn erst nicht finden, entdeckt dafür aber einen enormen
Krater im Wald. Das Foto des Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 sieht
dagegen aus wie Pünktchenmuster. Sarah schaut lange hinein. Und der Abgrund
schaut zurück. Chris taucht zwar schnell wieder auf, aber er wirkt verändert.
Sarah wird immer misstrauischer: Was passiert hier gerade? Habe ich
Halluzinationen? Ist das wirklich mein Sohn?

The Hole In The Ground bewegt sich mit diesem Stoff und
dieser Filmsprache absichtsvoll auf ein Kinopublikum mit einem gewissen Anspruch
zu, das sich statt der Sozialrealismus-Keule auch mal psychologisch plausiblen
Grusel verpassen lässt. Und der Film setzt darauf, dass sich umgekehrt auch die
Alltagserfahrungen und -überforderungen dieses Publikums zunehmend in Richtung
Horror verschieben. Proportional zu Wohlstand und Status auf der Karriereleiter
wächst bekanntlich auch die Empfänglichkeit für Ängste vor Verlust und
Versagen. Deswegen passt das Themenfeld Eltern-Kind und vor allem die Kiste
Mutterliebe-Horrorsöhnchen gerade so gut zu einer Ikonografie, die vor allem
durch B-Movies und Trash-Filme geprägt wurde.

Es gibt einen Fachbegriff für den realen Horror in
auseinanderbrechenden Kernfamilien: das Parental Alienation Syndrome, zu
deutsch: Eltern-Kind-Entfremdung. Es bezeichnet meist die nach der Trennung von
einem Elternteil aktiv betriebene Entfremdung des Ex-Partners vom gemeinsamen
Nachwuchs. Der Arthouse-Horror untersucht das Syndrom nun als etwas, das alle
Beteiligten passiv erleiden und das wie eine unerklärliche böse Macht
prinzipiell über jede und jeden kommen kann.

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