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John Singleton: Er war so nah dran

John Singleton schien sich in jenem Moment, der seine Karriere als Filmregisseur früh bestimmen sollte, beinahe ein wenig vor den Fernsehkameras zu verstecken. Im Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles war sein Name gerade in einer Reihe mit denen von Oliver Stone und Ridley Scott genannt worden, da war es an Kevin Costner, zu verkünden: “Der Oscar für die beste Regie geht an: John … athan Demme für Das Schweigen der Lämmer!” Singleton verzog das Gesicht und boxte mit der Faust in die Luft. Er war so nah dran gewesen.

Singleton hatte kurz vor der Oscarverleihung 1992 Geburtstag, er war gerade erst 24 Jahre alt geworden. Er ist nicht nur der bis zum heutigen Tag jüngste Filmemacher mit einer Nominierung für die beste Regie, er war auch der allererste Afroamerikaner, der in der Auswahl für diesen Preis vertreten war. Singletons Debütfilm Boyz n the Hood, für den er nominiert worden war, erzählte von einer Gegend, die vom Dorothy Chandler Pavilion nur sechs Meilen entfernt liegt und die Singleton selbst aus Kindheitstagen in den frühen Achtzigern kannte: South Central Los Angeles.

Der Film drehte sich um eine Gruppe von Jugendlichen in einer Welt, die von Schießereien, Alkohol, Drogen, Polizeikontrollen und Gerüchten rund um Aids bestimmt wurde. Jedes einzelne Element dieses Alltags, sogar die Liebe, wirkte wie eine Bedrohung für Leib und Leben – von der außerhalb der Ghettos niemand Notiz nahm. Singleton ließ die Kamera ganz nah dran sein.

Ein Signal für das New Black Cinema

Dass Singleton mit einem ungeschönten Film über South Central und seine Menschen, frei von falscher Glorifizierung, in die höchsten Hollywood-Kreise eingelassen wurde, wirkt bis heute nach. Singletons großer Aufschlag hatte Signalwirkung für die damals eben noch recht neue Bewegung des New Black Cinema um Regisseure wie Spike Lee, Mario van Peebles und eben Singleton selbst. Und die Signalwirkung wird umso wichtiger, je länger es dauert, bis sich die Dinge in Hollywood verändern. 

18 Jahre hat es gedauert, bis 2009 mit Lee Daniels und seinem Film Precious der nächste Afroamerikaner für einen Regieoscar nominiert war. Vier weitere schwarze Regisseure folgten: Steve McQueen, Berry Jenkins, Jordan Peele, Spike Lee. Gewonnen hat den Regie-ocar keiner von ihnen. Lee erhielt, 33 Jahre nachdem sein Debütfilm She’s Gotta Have It in die Kinos gekommen war, erst in diesem Frühjahr seinen ersten Oscar, für das beste adaptierte Drehbuch zu BlacKkKlansman. “Geschichte wird gemacht!!”, twitterte Singleton begeistert, 27 Jahre nach seiner ersten eigenen Oscarnacht.

Repräsentation war das Thema seiner frühen Filme. Der Rapper Ice Cube brachte es in seiner ersten großen Filmrolle in Boyz n the Hood auf den Punkt: “Either they don’t know, don’t show, or don’t care about what’s going on in the hood.” Gemeint war die weiße Mehrheitsgesellschaft der USA, die nichts wusste oder sich nicht dafür interessierte, was in den inner cities der Großstädte passierte. Singleton zeigte es. Doch man merkt jetzt, angesichts seines überraschenden, frühen Todes, auch, wie ironisch es ist, dass die Sache mit der Repräsentation für ihn selbst nicht so recht geklappt hat. “Google me” lautet die knappe Selbstbeschreibung, die auf seinem Twitter-Account derzeit noch zu lesen ist. Singletons Humor war herzlich, aber auch sarkastisch.

Mit dem Namen John Singleton kann ein breiteres Publikum außerhalb der USA wenig anfangen. Und selbst dort schien er nach dem furiosen Auftakt aus der öffentlichen Wahrnehmung nach und nach zu verschwinden. Singletons Erzählstil des harten, emotional mitreißenden Realismus wurde mehr und mehr von Genrekonventionen in den Clinch genommen. Er wurde gefragt, wenn es um Gangster-Storys und -Klischees ging – und schien manchmal auch selbst nicht viel Gegenwehr zu leisten, um sich künstlerisch von dieser Festlegung zu befreien. Es wirkte, als wolle er sich nicht mit unergiebigen Diskussionen aufhalten, sondern einfach machen. Filmstudenten gab er den Rat: “Just shoot it, don’t give a fuck!” Einfach drehen und sich ansonsten um nichts scheren.

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