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Universität Oxford: Um Kopf und Kragen

Wer verstehen will, wie Großbritanniens Politiker auf die Idee des Brexits kamen, muss den Ort besuchen, an dem sie das Diskutieren lernten: Den Debattierclub der Universität Oxford.

Dass der Weg zur Macht über die St. Michael’s Street führt, sieht man ihr
nicht an. Die Straße ist eng, fällt sanft ab, auf der einen Seite reihen sich ein Buchladen,
ein Café und ein Pub aneinander, auf der anderen Seite ragt eine Backsteinmauer empor. Auch
das gusseiserne Tor in der Mauer fällt kaum auf. Dahinter liegt Oxfords Treffpunkt der
Ambitionierten: die Oxford Union, ein Debattierclub – die Ausbildungsstätte vieler der
Mächtigen Großbritanniens.

Theresa May, die Premierministerin, hat hier debattiert. Jacob Rees-Mogg, ihr Widersacher und Verfechter eines harten Brexits, leitete einst die Bücherei der Union. Boris Johnson, Mays möglicher Nachfolger, war Präsident des Clubs. Hinter der unscheinbaren Backsteinmauer schlägt das politische Herz der Universität Oxford, die als eine der besten der Welt gilt. Elf der letzten dreizehn Premierminister Großbritanniens haben hier studiert, Konservative wie Sozialdemokraten. Oxford hat große Teile der Elite geprägt, die heute das Land prägt – und einige der ehrgeizigsten Verfechter des Brexits hervorgebracht. Viele der entscheidenden Akteure, die im Begriff sind, ihrem Land eine neue Richtung zu geben, haben hier debattiert, hier Politik geübt. Sie alle sind durch das gusseiserne Tor gegangen, das an diesem Freitag im April von Charlie Coverman geöffnet wird.

Coverman ist groß gewachsen, gerade zwanzig Jahre alt und Schatzmeister der Oxford Union. Er studiert Politik und Geschichte, im nächsten Jahr will er Präsident der Union werden. Jetzt führt er mit großen Schritten durch das Hauptgebäude, vorbei an der Bar, in der die Gäste nach den Debatten ihre Drinks bestellen (zuletzt der Präsident Maltas und Boris Becker), dann eine Treppe hoch, einen Gang entlang, an dessen Wänden Schwarz-Weiß-Fotografien hängen. Sie zeigen Covermans Vorgänger: Ehemalige Präsidenten, Schatzmeister und Bibliothekare der Union. Johnson, Rees-Mogg, auch Michael Gove, Großbritanniens Umweltminister und ein weiterer Kandidat für Mays Nachfolge, sowie Philip May, Theresa Mays Ehemann.

Theresa May ist auf keinem der Fotos zu sehen. “Sie war nie im Vorstand”, sagt Coverman, der die Historie der Union genau kennt. “Obwohl sie es versucht hat.” Ende der Siebzigerjahre kandidierte May für den Vorstand, wurde aber nicht gewählt. Stattdessen half sie bei der nächsten Wahl und zählte die Stimmen aus. Das geht aus der Chronik der Oxford Union hervor. May studierte damals am St. Hugh’s College im Norden der Stadt. Die Universität Oxford besteht aus über dreißig solcher Colleges, jedes hat eine eigene Kirche, eine Bücherei, ein Bootshaus, manche ganze Parkanlagen.

Mays College wird in Oxford etwas belächelt. St. Hugh’s liegt außerhalb des Zentrums und ist nicht so traditionsreich wie viele andere. Es hat keine beeindruckende Kirche, keine Kunstsammlung, kein erfolgreiches Ruderteam. Aber auch hier treffen sich die Studenten und Professoren regelmäßig zum Dinner. Sie ziehen dann ihren
gown
über, einen Umhang, der bei den Studenten bis knapp über die Hüfte reicht, bei den Professoren bis auf den Boden. Gemeinsam müssen sie auf langen Holzbänken warten, bis der Rektor den Saal betritt, und sich erheben, wenn dieser mit einem Gebet das Essen eröffnet. Die Bedienungen servieren drei Gänge, nach dem Dessert wird Portwein ausgeschenkt.

Es ist eine Welt für sich, die von jedem verlangt, die Form zu wahren, egal ob Rektor oder Student. Und die so wieder alle eint, in der Gewissheit, kleiner zu sein als diese Universität.

Auf einer Party lernte May ihren zukünftigen Ehemann Philip kennen. Benazir Bhutto, damals Präsidentin der Oxford Union und später Premierministerin Pakistans, stellte die beiden einander vor. Jahre später wird May davon berichten, als sie vor den UN in New York spricht. Ihren Bachelor schließt sie mit einer schlechten Note ab, es reicht gerade für den Abschluss. Sie erfüllt ihre Pflicht, so wie sie heute versucht, ihre Pflicht zu erfüllen und den Brexit zu organisieren, obwohl sie nie für den EU-Austritt war.

In der Union zeigt Coverman auf ein Foto aus dem Jahr 1986. Es ist das Jahr, in dem Boris Johnson Präsident des Debattierclubs wurde. “Seinen Wahlkampf hat damals Michael Gove organisiert”, erzählt Coverman. Johnson studierte am Balliol College, gegründet im Jahr 1263. Es ist eines von vielen Colleges im Zentrum Oxfords, die die Studenten daran erinnern, Teil von etwas historisch Bedeutsamem zu sein. Ein Gedanke, der demütig stimmen kann – oder übermütig.

In der Oxford Union fällt Johnson schnell auf. Im Jahr bevor er Präsident wird, entscheidet er eine
comedy debate
für sich. Bei einer
comedy debate
geht es darum, überzeugend für Nonsense einzustehen (etwa: “Der Drink davor und die Zigarette danach sind die drei besten Dinge auf der Welt”). Johnson brilliert darin. Er versteht, dass nicht immer das bessere Argument, sondern oft der bessere Entertainer die Debatten gewinnt.

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