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Klimaschutz: Warum unsere Ausreden falsch sind

Viele von uns leben
inkonsequent, zum Beispiel im Umweltschutz. Ökologie gilt den Deutschen als
wichtig. Trotzdem geben sie viel Geld für Fernreisen aus und essen mehr
Nahrungsmittel tierischen Ursprungs, als gut fürs Klima wäre. Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik
in Leipzig und Berlin sowie Professor an der Uni Rostock, hat das in seinen
Gastbeiträgen für ZEIT ONLINE thematisiert und in den Leserkommentaren auch
Widerspruch geerntet. Hier antwortet er auf die wichtigsten Einwände.

Nehmen wir die globalen Klimaziele
ernst, müssen wir weltweit innerhalb von zwei Dekaden den Verbrauch von
fossilen Brennstoffen auf null senken und die Tierhaltung deutlich reduzieren. Das
würde unseren Alltag von Grund auf verändern – wenig verwunderlich, dass das
nicht jedem gefällt. Selbst wenn wir uns drei statt zwei Dekaden Zeit für den
Wandel nehmen, wie der Weltklimarat erwägt, und die 1,5-Grad-Grenze dadurch nur
noch mit etwa 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einhalten, ist das immer noch sehr
anspruchsvoll.

Die rund 1.000 Kommentare unter meinen
ZEIT-ONLINE-Texten übers Fliegen und über den Konsum
von Fleisch, Eiern und Milchprodukten
repräsentieren klassische Einwände gegen den Klimaschutz. Leider sind
sie oft falsch. Aber sie zeigen gut, woran Nachhaltigkeit bisher vielfach scheitert.

Alles nur Überbevölkerung?

Der Klassiker aller Einwände lautet:
Wir haben kein Klimaproblem, die Erde ist einfach nur übervölkert. Natürlich –
würden auf der Welt, sagen wir, nur 500 Millionen Menschen leben, wären die
Umweltprobleme sehr viel kleiner. Doch gibt es keinen vertretbaren Weg, die
Weltbevölkerung kurzfristig so massiv zu reduzieren.

Außerdem
ist unser ökologischer Fußabdruck pro Kopf in Europa und Nordamerika dutzendfach
größer als in vielen Ländern Afrikas, wo die Geburtenrate am höchsten ist. Und
bereits heute, mit einem armen Afrika mit geringem ökologischen Fußabdruck, ist
die globale Umweltsituation katastrophal. Eine stabile oder leicht reduzierte Weltbevölkerung
bringt uns daher der Nachhaltigkeit kaum näher.

Ein anderer klassischer Einwand besagt:
Ein strenger Klimaschutz ist sozial ungerecht, denn dann sind Fleisch und
Fernreisen nicht mehr für alle erschwinglich. Das ist nicht ganz falsch. Nur ist
der Klimawandel selbst ein viel größeres Problem für die Armen, weil er vor
allem sie treffen wird, und zwar in Deutschland und weltweit. Davon abgesehen: Wenn
man totale Gleichheit fordert, dann bitte nicht nur, wenn es um den
Umweltschutz geht.

Selbst von Leuten mit Ökosympathien
kommt ein anderer Einwand: Umweltforderungen schön und gut, aber die Freude an
Fernreisen möchte man sich doch nicht madig machen lassen. Das Größte im Leben
ist es für viele Menschen heute, Erlebnisse und Erfahrungen zu sammeln. Dass
das per se gut ist, ist jedoch nicht mehr als ein Dogma. Außerdem kann man
fragen: Sind etwa Fernreisen wirklich so ein tolles Erlebnis, nicht nur wegen
der oft unbequemen Reiseumstände? Ich selbst fliege privat seit 20 Jahren gar
nicht mehr und dienstlich nur, wenn ich Europa verlasse. Und auch das tue ich
nur alle paar Jahre, und dann für längere Zeit.

1994 habe ich beispielsweise drei Monate in Israel
gearbeitet. Doch bin ich dadurch jemand anderes geworden? Und kenne ich jetzt
wirklich das Land? Eher nein. Für kürzere und touristische Reisen gilt das noch
mehr. Davon abgesehen ist Europas Vielfalt an gutem Essen, kulturellen Hotspots
und pluralistischen Lebensentwürfen weltweit fast konkurrenzlos – und es ist erreichbar
ohne Flüge.

Das Sinnvakuum im postreligiösen
Zeitalter werde ich auch nicht ernsthaft los, indem ich durch Feuerland oder
Bangkok laufe. Bewusster Verzicht hingegen kann sehr spannend sein. Und zusätzlich
noch sehr viel verheißungsvoller als die drastischen Folgen des Klimawandels
für uns alle.

Freiheitsfeindlich, wie einige
Kommentatoren meinen, ist Klimapolitik auch nicht. Denn sie schützt die Freiheit
der einen vor den anderen. Bevormundend
wäre es nur, wenn jemand gegen seinen Willen vor sich selbst geschützt wird,
wenn man also etwa Fleischessern selbst etwas Gutes tun wollte, indem man sie
am Essen hinderte. Auch  ein Verbotsregime für
endlos viele einzelne Handlungen zu entwerfen, wäre illiberal.

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