/“Tatort” Dresden: Das hätte Kafka auch gesagt

“Tatort” Dresden: Das hätte Kafka auch gesagt

Irgendwann hat sich die Floskel “Alles gut” im
Sprachgebrauch breitgemacht. Der Dresdner Tatort: Das Nest
(MDR-Redaktion: Sven Döbler) reagiert darauf, positiv formuliert, mit einer Art
Hommage durch Inflation: Gleich fünf Mal ertönt die Ansage “Alles
gut” im Film, ein weiteres Mal in der Variation als ganzer Satz: “Es
ist alles gut.”


"Tatort" Dresden: Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht".

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

Was natürlich nicht stimmt. Eine Floskel ist “Alles
gut” ja, damit eine sprachliche Ersatzhandlung begangen werden kann. Es geht also darum, etwas sagen zu können, um etwas anderes nicht sagen zu müssen (die
sogenannte Wahrheit). Leider fächert Das Nest nicht alle
Bedeutungsschichten auf, die von
“Lass mich in Ruhe” bis zu einem porösen Konsens reichen. Aber als Problemaufriss kann die Folge durchaus dienen.

Die sprachliche Ausweichbewegung “Alles gut”
ereignet sich vor allem um Kommissarin Gorniak (Karin Hanczewski) herum. Das deutet
darauf hin, dass es ihr besonders schlecht geht. Sie wird gleich zu Beginn von einem Serienmörder niedergestochen und muss am Ende fürchten, dessen
Opfer zu werden. Außerdem hat sie nach dem Abgang von Alwara Höfels als Henni
Sieland
eine neue Kollegin am Hals – und Harmonie ist nicht das erste Wort, das
einem einfallen würde, um das Verhältnis zu Leonie Winkler (Cornelia Gröschel)
zu beschreiben.

Das ist nichts Neues, weil ungefähr jeder jüngere Tatort die Idee verfolgt, der Antagonismus zwischen
Leuten, die zusammenarbeiten, böte ein unerschöpfliches Reservoir für Konflikte
und Dynamik. Was sich im Laufe der Zeit oder auch ziemlich rasch verläuft. Versuchen Sie mal, den Ivo (Miro Nemec) und den Franz (Udo Wachtveitl) in
München
oder Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Fab Five Freddy (Dietmar Bär) in
Köln
auseinanderzuhalten aufgrund von wiederkehrenden Charaktereigenschaften.
Oder auch nur Rubin (Meret Becker) und Karow (Mark Waschke) in Berlin.

Nun ist Das Nest mit seinem Superdupermörder zwar
ein Film (Drehbuch: Erol Yesilkaya, Regie: Alex Eslam), der nicht durch interessante Gesellschaftsbeschreibungen auffallen will, sondern
lustvoll Puzzleteile vom Dachboden des Kinos anmalt, um sie neu zu kombinieren.
Das heißt, es geht um das Spiel mit Konventionen und Klischees.

Das muss “die Leo” doch hören!

Allerdings wird das eine (der Fall und die Täterfigur)
originell und überraschend erzählt, während das andere (der Kolleginnen-Zwist) gewöhnlich
und erwartbar bleibt. Winkler leidet unter ihrem Vater, der angeblichen
Polizeilegende Otto Winkler (Chief Röder aus Rostock: Uwe Preuss). Das aber wenig subtil. Papa Otto flüstert dem so herrlich grimassierenden Martin Brambach als Revierleiter Schnabel die Geringschätzung der Tochter beim
gemeinsamen Abendessen derart laut, dass “Leo” es noch in der Küche
hören kann. Oder: Die Tochter klickt mit dem Feuerzeug des Vaters so lange rum
(wie elegant nimmt sich dagegen der Stifte-Klicker Raiko Thal vom RBB aus!), bis die letzte Zuseherin
begreift: Hier wird ein Problem ausagiert.

Die Winkler-Tochter wird also gleich in der ersten Folge
ziemlich deppert dargestellt. Erst schießt sie nicht auf den Täter, der die
Kollegin Gorniak gerade niedergestochen hat. Dann bettelt sie um deren
Expertise, um wenig später darauf schon wieder nichts mehr zu geben, wenn der
wahre Täter den zweiten Verdächtigen verschwinden lässt und ihm das Messer vom
Niederstich unterjubelt, damit die Polizei glaubt, der Fall sei gelöst (was
Winkler bereitwillig tut). Man denkt dann wehmütig an US-amerikanische Krimis
und Filme, in denen der Professionalismus von Ermittlerinnen hoch im Kurs
steht.

Aber gut, Das Nest ist abgesehen von der
Kolleginnen-Nummer ein aufregender Fall. Schon wie der Zufall zur Leiche führt, hat etwas: Eine verkehrsverunfallte Frau verirrt sich in das
abgelegene Haus, in dem der Täter Leute ausbluten lässt, um sie anschließend in
Sitzgruppen und anderen Wohnsituationen zu drapieren.

Wenn er endlich gefunden ist, stehen Aufwand und Sorgsamkeit
der Verbrechen in krassem Missverhältnis zur Motivlage. Der Mann ist Arzt (Benjamin Sadler) und erklärt kurzerhand, das Töten sei seine Natur – und
hakt damit jedes Suchen nach einer komplexen psychologischen Fundierung seiner
Taten ab. Kann man auch mal machen.

Der Tatort braucht diesen unscheinbaren, kalten
und professionellen Täter lediglich als Figur, um mal in Tiefgaragen, dem
eigenen Haus oder der Wohnung von Gorniak suspense zu erzeugen. So wird die Frage, wie die Enttarnung des bereits
bekannten Mörder zu bewerkstelligen sei, zur eigentlich spannenden.

Am Ende wird es noch mal moralisch prekär, wenn der mordende Arzt
durch – nur akustisch zu vernehmende – Schüsse während der Überwältigung getötet wird.
Im Epilog befragt Schnabel seine Mitarbeiterinnen zum Ablauf der Geschehnisse,
und das Protokoll fügt der Geschichte die Bilder an, die vorher nicht zu sehen
waren: jene, auf denen Gorniak im Wissen um die nicht zu ändernde “Natur” des
Täters diesen bewusst umbringen wollte. Sie blenden dann über in die
Winkler-Geschichte von der angeblichen Notwehr, die behauptet, der Arzt habe noch ein Skalpell
aus dem Schuh gezogen. Wenn Schnabel anmerkt, dass der Mann das mit dem gebrochenen
linken Arm nicht bewerkstelligt haben könne, stehen dem die Bilder entgegen. So lässt sich die Lüge als Wahrheit erzählen. Im Film.

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