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Heroismus: Der Stoff, aus dem Helden sind

Niemand wünscht sich Katastrophen. Doch fast jede bringt auch Helden
hervor. Nach dem Terroranschlag in Neuseeland im März war es Abdul Aziz, der von den Medien
als “Held von Christchurch” gefeiert wurde. Unerschrocken hatte er sich dem Attentäter mit
einer von dessen leer geschossenen Waffen in den Weg gestellt und ihn so zum Rückzug genötigt.
Damit verhinderte der gebürtige Afghane, dass möglicherweise noch mehr Menschen ihr Leben
lassen mussten.

Nach dem Großbrand in Notre-Dame wurde Jean-Marc Fournier vom britischen
Telegraph
zum “Heldenpriester” gekürt. Beherzt war der Kaplan der Pariser Feuerwehr in die brennende Kirche gestürzt, um die wertvollste Reliquie, die “Dornenkrone Christi”, aus den Flammen zu retten.

Heroismus: Der "Held von Christchurch": Abdul Aziz stellte sich am 15. März dem Attentäter in den Weg.

Der “Held von Christchurch”: Abdul Aziz stellte sich am 15. März dem Attentäter in den Weg.
© ANTHONY WALLACE/AFP/Getty Images

Und dann ist da der neunjährige Kenan aus Nürnberg, den die
Bild-Zeitung kürzlich zum “Superhelden” erklärte. Als er mit seiner zweijährigen Schwester Hira allein im Auto saß und auf seine Mutter wartete, die kurz ausgestiegen war, bemerkte er plötzlich Rauch. Der Junge stieg aus, sah Flammen am Wagen und reagierte sofort. Mit aller Kraft drückte er den Verschluss des Kindersitzes auf, packte seine kleine Schwester und rannte mit ihr weg – kurz bevor das Auto explodierte. Als Held fühle er sich zwar nicht, sagte er zu
Bild,
aber stolz war er dennoch: “Meine Oma will mir jetzt eine
Superman-Kappe schenken.”

Angesichts solcher Geschichten fragt man sich unwillkürlich: Hätte ich genauso gehandelt? Hätte auch ich mein Leben riskiert, um mich einem Attentäter in den Weg zu stellen, in eine brennende Kirche zu laufen oder ein kleines Kind aus einem Auto zu retten? Anders gefragt: Wurden diese drei nur durch die zufälligen Umstände zu Helden, oder waren sie schon vorher Ausnahmefiguren? Glichen sie in dieser Hinsicht gar dem Comic-Helden Superman, der ein unauffälliges Leben als Journalist Clark Kent führt und nur in Notfällen seine übermenschlichen Fähigkeiten entfaltet? Und wenn es so wäre: Woran könnte man solche Hoffnungsträger erkennen, gibt es ein “Helden-Gen” oder eine Signatur des Heroismus?

Ich bin kein Held. Es gehört zu unserer Menschlichkeit, dass wir anderen Menschen in Not helfen.

Abdul Aziz, nachdem er weiteren Terror verhinderte

Tatsächlich beschäftigt sich eine Reihe von Forschern mit dieser Frage. Der bekannteste unter ihnen ist der US-Psychologe Philip Zimbardo. Er wurde mit dem Stanford-Prison-Experiment berühmt, das zeigt, wie leicht sich Menschen zu sadistischem Verhalten verführen lassen. Mittlerweile hat er sich auf das Gegenteil verlegt und will nun Heldentum fördern. Aus seiner Forschung heraus hat er ein Trainingsprogramm entwickelt, um Menschen gezielt zu heroischen Taten zu inspirieren.

Dazu später mehr. Zunächst einmal gilt es Missverständnissen vorzubeugen. Denn der Begriff “Held” ist hierzulande ziemlich in Verruf geraten. Spätestens seit viele “Kriegshelden” des Zweiten Weltkriegs als Mittäter eines Verbrechensregimes entzaubert sind, haben zumindest die Westdeutschen mit Heldentum nicht mehr viel am Hut; im Osten des Landes wurden zwar zu DDR-Zeiten noch die “Helden der Arbeit” geehrt, doch mittlerweile ist auch diese Bezeichnung Geschichte. Soziologen sprechen heute vom “postheroischen Zeitalter”, in dem nicht mehr die Aufopferung für hehre Ziele gefragt ist, sondern die vernünftige Konfliktlösung im Rahmen demokratischer Strukturen.

Allerdings gibt es keine Garantie auf dauerhaft vernünftige Konfliktlösungen. Selbst in Deutschland dämmert uns, dass das wohlgeordnete demokratische Zusammenleben kein Selbstläufer ist, sondern immer auf Menschen angewiesen ist, die sich in besonderem Maße dafür einsetzen – nicht nur im Ausnahmefall eines Terroranschlags. Auch deshalb bekommt das Gedenken an die Attentäter des 20. Juli 1944, die vor 75 Jahren unter Einsatz ihres Lebens die Nazi-Herrschaft beenden wollten, heute ein besonderes Gewicht.

Obwohl die Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg seinerzeit scheiterten, erwiesen sie dem Ruf ihres Landes einen unschätzbaren Dienst. Sie zeigten durch ihr Verhalten – ebenso wie die Widerständler der Weißen Rose –, dass eben nicht alle Deutschen Hitlers Verbrechen mittrugen, sondern dass es zumindest einige gab, die dagegen aufbegehrten. Damit repräsentierten sie ein anderes Deutschland, eines mit menschlichem Antlitz, an das die Nachkriegsdemokratie anschließen konnte. Selbst der britische Premierminister Winston Churchill, der erbittertste Gegner der Deutschen im Zweiten Weltkrieg, sprach angesichts des Widerstands gegen Hitler von einem “heroischen Kapitel der deutschen Geschichte”.

Dass diese Art von Heldentum keinesfalls überflüssig geworden ist, zeigt sich spätestens beim Blick über die Landesgrenze. Nicht nur in der Türkei oder Ungarn, selbst in den USA wird wieder um demokratische Rechte gerungen, stehen vermeintliche Selbstverständlichkeiten zur Disposition. Dabei kommt es nicht zuletzt auf die Widerstandskraft Einzelner an, die – trotz eventueller persönlicher Nachteile – bereit sind, für die Freiheit der Allgemeinheit zu kämpfen.

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