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Chemnitz: Die Angst des Zeugen

Es ist ein Prozess, der Ruhe bringen soll. Ein Prozess, der nicht nur eine trauernde Familie sondern eine ganze Stadt versöhnen soll. Der Tod von Daniel H. in den frühen Morgenstunden des 26. August 2018 am Rande des Chemnitzer Stadtfestes hatte die Stadt ins Chaos gestürzt. Mit einem rechtsstaatlichen, sauberen Verfahren soll dieses Chaos beseitigt werden.

Doch nach den ersten Verhandlungstagen in Dresden, wo das Landgericht Chemnitz den Prozess stattfinden lässt, ist die Verwirrung eher noch größer geworden. Dutzende Zeugen sind in den vergangenen Wochen vernommen wurden, darunter einige, die in unmittelbarer Nähe zur Tat waren, teilweise sogar selbst verletzt wurden. Der Erfolg allerdings war bescheiden – viele Zeugen gaben an, sich nicht mehr erinnern zu können. Sie hatten zu viel getrunken, ihre Dolmetscher schlecht verstanden oder sich entschieden, so wenig wie möglich an diesen Abend denken zu wollen.

Umso größer waren die Hoffnungen auf den fünften Verhandlungstag. Der Hauptbelastungszeuge, ein 30-jähriger Libanese, sollte aussagen. Obgleich der Chemnitzer Dönerverkäufer versucht hatte, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, hatte das Gericht seine Vernehmung angeordnet.

In seinen ersten Aussagen hatte der Libanese den Angeklagten Alaa S. schwer belastet – und, anders als alle anderen Zeugen, auch die Tat selbst beschrieben. Damit ist er nicht nur der wichtigste Zeuge von Staatsanwalt Stephan Butzkies. Er ist auch seine letzte Hoffnung: Butzkies ist in dem Verfahren angezählt. Ein weiterer wichtiger Zeuge hatte es erst am Vormittag zur Bedingung seiner Aussage gemacht, dass Butzkies während dieser den Saal verlasse. Zudem hat er den Staatsanwalt angezeigt, das Verfahren wurde im März eröffnet.

Der Zeuge wiederum hat für seine Offenheit schon jetzt einen hohen Preis bezahlt. Unter schwerem Polizeischutz wurde er am späten Freitagnachmittag in den Dresdner Hochsicherheitssaal geführt. Unterstützt von einem Anwalt und einer Dolmetscherin antwortete der 30-Jährige auf die Fragen der Richterin.

Es wurde eine schwankende Aussage. Der Zeuge distanzierte sich zum Großteil von seinen früheren Aussagen – darin hatte er den Angeklagten Alaa S. und den flüchtigen Iraker Farhad A. schwer belastet, sie mit blutigen Händen und eindeutigen Stichbewegungen am Tatort beschrieben. An diesem Freitag sagte er nun, er könne sich nicht mehr daran erinnern und sei missverstanden worden. Nur um eine halbe Stunde später wieder einen Teil seiner Aussage zu bestätigen. Er habe zwar keine Messer gesehen – wohl aber, dass der Angeklagte und Farhad A. den Deutsch-Kubaner Daniel H. “geboxt” hätten. Der Libanese hatte die Auseinandersetzung vom Fenster seines Dönerladens aus verfolgt. Er war also deutlich weiter weg vom Tatort als viele andere Zeugen, die in bemerkenswerter Einigkeit nichts von dem Tötungsdelikt gesehen haben wollen.

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