/Bayer: Tote Bienen bei der Hauptversammlung

Bayer: Tote Bienen bei der Hauptversammlung

Christiane Schnura hat in einem
orangenen Campingbus Platz genommen. Seit 40 Jahren schon begleite sie die
Geschicke des Bayer-Konzerns, an dem sie eine einzige Aktie halte, sagt sie.
Die 61 Jahre alte Umweltaktivistin und Mitgründerin der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) hat sich auf den Weg von Düsseldorf nach Bonn gemacht, um
an der Hauptversammlung des Konzerns teilzunehmen, die Experten im Vorfeld einhellig
zu einem historischen Ereignis erklärten.

Schnura ist gekommen, weil sie zeigen
möchte, dass sie die Übernahme des umstrittenen US-Agrarriesen Monsanto durch
den Leverkusener Konzern für einen Fehlgriff erster Güte hält. “Es ist eine
Katastrophe”, sagt sie. “Bayer hat die Profitmaximierung über den gesunden
Menschenverstand gestellt.” Die Entscheidung sei ethisch und menschenrechtlich
nicht vertretbar.

Der CBG-Bus parkt direkt vor dem World
Congress Centrum Bonn, in das die Bayer AG ihre Aktionäre eingeladen hat. Der
kleine Vorplatz wird zum Schauplatz eines Anti-Bayer-Spektakels. Imker haben
schwarzgelbe Tonnen aufgestellt, auf denen sich Berge toter Bienen türmen. Sie
schwenken ihre Smoker, aus denen grauer Rauch quillt. Auf einer Bühne poltern
Landwirte und NGO-Vertreter gegen den Konzern und seinen Vertrieb von
Pestiziden, die in vielen Ländern Unheil angerichtet hätten.

Schüler haben Ferien – und demonstrieren mit

Kurz nach neun mischt sich die
Fridays-for-Future-Demo zwischen Aktivisten und die langen Warteschlangen der
Aktionäre, von denen manche sich durch angrenzende Büsche schlagen, um dem
Trubel zu entgehen. “Systemwandel ja, Klimawandel nein”, skandieren die
Protestler. Süffisant merkt der Sprecher der Schülerdemo an: “Es sind Ferien,
und wir sind trotzdem hier.”

Die Unternehmensspitze des
Bayer-Konzerns lässt sich nichts anmerken. Vorstandschef Werner Baumann und der
Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning wussten, was an diesem Freitag auf sie
zukommen würde. Seit Monaten reißt die Kritik am Kauf von Monsanto nicht ab. Das
wichtigste Produkt des US-Konzerns ist der Unkrautvernichter Glyphosat, den die
Internationale Krebsforschungsagentur IARC, die zur
Weltgesundheitsorganisation gehört, als wahrscheinlich krebserregend
eingestuft hat.

Im Geschäftsjahr 2018 musste die Aktie
des Pharma- und Agrarchemieriesen einen Kurssturz von bis zu 40 Prozent hinnehmen. Der Wert des Unternehmens wird derzeit auf etwa 58 Milliarden Euro
beziffert – kaum noch mehr, als der Kauf des US-Unternehmens gekostet hat. Die
zweijährige Prüfung durch die Kartellbehörden zehrte an den Kräften des
Konzerns, der vor einigen Jahren die Spitze des Dax bildete und nun die
wahrscheinlich schwerste Krise seiner Geschichte überstehen muss.

Spätestens
seit der ersten Entscheidung einer US-Jury in Sachen Glyphosat im Oktober 2018
wird dem CEO Werner Baumann vorgeworfen, die juristischen Risiken der
Akquisition unterschätzt zu haben. 78 Millionen US-Dollar soll Bayer an den an
Krebs erkrankten Dewayne Johnson bezahlen. Im Fall Edwin Hardeman sind es
weitere 80 Millionen. Bayer hofft in beiden Fällen, durch die Berufung
rehabilitiert zu werden. Bislang hat Bayer nach eigener Auskunft 600 Millionen
Euro für Prozesskosten in Sachen Glyphosat zurückgestellt.

12.000 Arbeitsplätze fallen weg

Dabei kommt die Klagewelle erst
allmählich ins Rollen, wie der Vorstand konstatieren muss. Inzwischen sind etwa
13.400 Klagen in den USA dazu gekommen, auch in Kanada sei eine Sammelklage in
Vorbereitung, muss Baumann einräumen. 12.000 Arbeitsplätze sollen weltweit abgebaut
werden, allein 4.500 davon in Deutschland. Um den Absturz abzufedern, sollen nun
einzelne Sparten verkauft und eigene Aktien zurückerworben werden.

Aber nicht
nur das. Auch die Ökobilanz des Konzerns hat sich drastisch verschlechtert: Die
CO2-Emission sei um 50 Prozent gestiegen. Der Monsanto-Deal, der Bayer zum
Weltmarktführer im Bereich der Agrochemie gemacht hat, ist aus Sicht von
Analysten längst zum Debakel geworden.

“Man muss sich vorstellen: Das Schicksal
eines deutschen Unternehmens liegt in den Händen der US-Justiz”, sagt Marc Tügler, Geschäftsführer der einflussreichen Deutschen Schutzvereinigung für
Wertpapierbesitz (DSW), die einige Millionen Anleger vertritt. Der Konzern und
seine Aktionäre hätten sich entfremdet. “Es sind zwei Züge, die aufeinander
knallen”, sagt Tügler. “Auf der einen Seite stehen die Emotionen der
enttäuschten Anleger, auf der anderen der analytische und datengetriebene
Vorstand.”

In seiner Rede gibt sich CEO Baumann
abgeklärt. Ja, es sei ein schwieriges Jahr gewesen. Er entschuldigt sich für
die Kursverluste, doch seien die unternehmerischen Ziele erreicht worden. Die
Übernahme von Monsanto und die möglichen Haftungsrisiken durch das
Glyphosat-Geschäft seien umfassend geprüft worden.

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