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Hamburger Kunsthalle: Fast zu schön, um wahr zu sein

Für einen kurzen Moment hätte man ihn glatt für einen Zeitreisenden halten können. Alexander Klar, der vom 1. August an die Direktion der Hamburger Kunsthalle übernimmt, sei ein Mann, “der aus dem 19. Jahrhundert kommt und zuletzt fast ausschließlich in der Moderne und der Gegenwart gearbeitet hat”, sagte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) bei einer spontan einberufenen Pressekonferenz am Donnerstagmittag. Diesen Satz muss man kurz sacken lassen. Was Brosda sagen wollte, ist offensichtlich: Klar, geboren 1968, sei genau der richtige Mann für das Museum, das sich mit einer Sammlung in just diesen Stilepochen profiliert hat. Was Brosda aber mit seiner im Kulturbetriebsjargon dahingeworfenen Formulierung gleich mit ausdrückte, sagt noch viel mehr. Alexander Klar, mit dessen Kommen in Hamburg keiner gerechnet hatte, kommt für Brosda wie gerufen, fast so, als habe ihn der Himmel geschickt.

Viel unterwegs war Klar in der Tat: Geboren in Waiblingen bei Stuttgart, aufgewachsen in Athen, nach dem Magister in Erlangen (Archäologie, Kunstgeschichte und Geschichte) war er kurz Assistent im Guggenheim Museum in New York, danach in der Peggy Guggenheim Foundation in Venedig. “Da habe ich gelernt, wie man ein Museum betreibt”, plaudert Klar. “Morgens aufschließen, Kasse zählen, Abends zumachen, Rechnungen bezahlen, feststellen, wie man am Tag 7.000 Besucher durch überhitzte Säle bekommt. Ein Museum ist eben auch ein Geschäftsbetrieb, auch wenn die Besucher davon möglichst wenig mitkriegen sollen.”

Es folgte ein Volontariat an der Kunsthalle in Emden, dann eine Station am Victoria and Albert Museum in London, ein Intermezzo als Gründungsdirektor des Emil-Schumacher-Museums in Hagen, schließlich achteinhalb Jahre als Direktor des Kunstmuseums in Wiesbaden. “Das Wiesbadener Museum ist wohlgelitten in der Bevölkerung, aber nicht gut besucht”, sagt Klar. Eine Situation, die er an seiner neuen Wirkungsstätte exakt wiederfinden dürfte.

Dort, in Wiesbaden, habe er seinen kuratorischen Grundmodus entwickelt: “Ein Museum ist gesellschaftlich relevant, aber viele wissen es noch gar nicht. Ein Museum ist nicht der Ort, an dem man glücklich zurückschaut auf ein fernes Arkadien, sondern ein Museum ist auch der Ort für die Gegenwart.” Diese Skizze wolle er durchaus als sein Mission-Statement für Hamburg verstanden wissen. “Ich versuche Relevanz nicht durch populistisches Anbiedern an die Gegenwart, sondern ich möchte zeigen: Im Museum ist die Gegenwart enthalten, denn jede Vergangenheit war mal eine Gegenwart – und so weit ist das 16. Jahrhundert auch wieder nicht von uns entfernt.”

In Wiesbaden verpasst Klar das 200. Jubiläum des Hauses im Jahr 2025, in der Kunsthalle kommt er gerade recht zu den Feierlichkeiten zum 150. Jubiläum. “Die Kunsthalle ist jünger und sexyer, das freut mich natürlich.”

Unerwartet schnelle Kür

Aus Sicht der Kulturbehörde verlief das Suchen und Finden eines neuen Direktors für Hamburgs größtes und ältestes Kunstmuseum äußerst erfreulich. Anstatt die Stelle offiziell auszuschreiben, ließ Brosda eine Findungskommission bilden: etwa mit Christina Weiss, ehemals Hamburger Kultursenatorin und Kulturstaatsministerin des Bundes, weiterhin mit Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums und der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main, sowie mit Wulf Herzogenrath, dem ehemaligen Leiter der Kunsthalle Bremen. Nicht beteiligt an der Suche war Klars Vorgänger, Christoph Martin Vogtherr, der seinerseits nach langem Findungsverfahren und dann allzu kurzer Amtszeit im Februar als Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg nach Potsdam wechselte. Insgeheim stellte sich Brosda auf eine lange Vakanz ein, dass es nun anders kam, zahlt auch auf seine Reputation ein.

Die unerwartet schnelle Kür eines Nachfolgers wertet Brosda als Prädikat für ein verändertes Ansehen der Kunsthalle, von dem in Hamburg selbst noch wenig zu spüren ist. “Wir hatten binnen kurzer Zeit ein sehr reiches, breites Feld an Personen”, sagt Brosda, “und das allein hat uns schon sehr glücklich gemacht, denn das war nicht bei jeder Findung eines Direktors der Kunsthalle so, dass alle gesagt haben: Ja, ich komme sofort und spreche gerne mit der Stadt, weil ich die Kunsthalle eine interessante Perspektive finde.”

Unter Alexander Klar dürfte sich die Kunsthalle wieder stärker der Gegenwartskunst zuwenden.
“Die Kunsthalle war immer schon ein gegenwärtiges Haus.” Neben gezielten Ankäufen will Klar vor allem die Künstlerförderung stärken. “Ich interessiere mich sehr für junge Gegenwartskunst, für die Etablierung eines Kanons, das sind Dinge, die ich seit meiner Ausbildung mich begleiten”

Sogar für den zuletzt sehr stiefmütterlich behandelten und sogar zeitweilig geschlossenen Bau für Gegenwartskunst hat er schon Ideen. “Ich bin im Zuge der Gespräche einige Male um den Bau herumgelaufen, von dem viele Kollegen sagen, er ist ein ganz schön schwieriges Ding. Ich mag schwierige Dinge, und beim dritten Mal habe ich Dinge gesehen, über die ich jetzt erst mal mit den Kuratoren im Haus sprechen möchte.”

Im Fokus stehen für ihn, neben der Sammlung, ausdrücklich die Besucher – in Wiesbaden richtete er für die Besucherbeziehung sogar eine eigene Kuratorenstelle ein. “Denn natürlich möchte ein Museum für seine Besucher da sein, ein Museum möchte relevant sein, der Maßstab ist immer die Frage: Möchte ich in dieses Museum gehen?” In Hamburg hatten zu viele Besucher diese Frage für sich verneint – aus unterschiedlichen Gründen. “Wenn die Sonne scheint, werden Sie auch den glücklichsten Museumsgänger nicht ins Museum kriegen, da gehen wir alle gern an den Strand. Es gibt im Hamburg viel Tourismus, den müssen wir anzapfen, aktivieren. Ich denke, dass das Haus auch durchaus das Potenzial hat, in Deutschland mal an eine Spitze zu kommen. Aber ich bin kein Wettkämpfer um solche Dinge, ich bin für organische Entwicklungen.”

Sein wertvollstes Geschenk zum Einstand machte ihm Brosda gleich selbst: Zusammen mit der Finanzbehörde habe man einen Weg gefunden, die in den Vorjahren aufgelaufenen nicht unbeträchtlichen Verluste auf null zu setzen, “damit das Jubiläumsjahr und der Beginn des neuen Direktorats ohne eine solche Hypothek vonstatten gehen können”, so der Kultursenator. Man gehe davon aus, die Kunsthalle sei – über die Betriebskostenzuschüsse der Stadt hinaus – nicht strukturell defizitär. “Jetzt kann man sich voller Verve auf die inhaltliche Arbeit stürzen, um das Haus noch stärker zum Klingen zu bringen.”

Bislang klingt dies, bei aller Euphorie, fast zu schön, um wahr zu sein.

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