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Enissa Amani: Empörio Amani

Das hätte man auch nicht gedacht! Dass ausgerechnet die Generation
der Follower den nächsten Kritikerstreit vom Zaun brechen wird. Bislang gab es
nur Männerpaare in dieser Disziplin. Ernst Nolte und Jürgen Habermas. Martin Walser und Ignatz Bubis. Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass. Nun endlich
reihen sich mit Enissa Amani und Anja Rützel auch zwei Frauennamen in die
Geschichte der deutschesten aller Debatten ein, mit der Frage, die eines Tages sehr
wahrscheinlich genau wie “Kindergarten” oder “Blitzkrieg” im Original in die Sprachen
der Welt eingehen wird: “Darf man das?”

Im Zentrum des aktuellen Disputs steht die TV-Übertragung
einer Preisverleihung (“About You Award”) für Influencer. Influencer sind
lebende Otto-Kataloge, die für Geld auf ihren Social-Media-Kanälen Werbung
machen
. Sie zeigen das Produkt nicht nur, sondern führen es auch vor, wenn die Verwendung
allzu neu und unbekannt ist. In kleinen Tutorials erläutern sie wie Medizinprofessoren im Präparationssaal, wie man ein Beutelchen
gefriergetrockneten Cappuccino in die Tasse rieseln lässt und Wasser aus dem
Wasserkocher nachgießt. Immer fällt der berühmte Satz: “Ich verlinke euch alles
unten in der Infobox.” Dort werden vom Wasserkocher bis zum Stromanbieter alle Markennamen
aufgelistet. “Drüben” bei Insta folgt oft auch noch ein swatch. Ein Influencer beschrieb in der TV-Show das Selbstverständnis
seiner Berufsgruppe: “Wir sind die creator
unserer Generation. Wir machen content,
weil wir es lieben, nicht weil wir müssen!” 

Anja Rützel, um auch sie kurz vorzustellen, ist für die Fernsehkritik das, was
Hellmuth Karasek für die Literaturkritik war. Nie
gemein. Nie ätzend. Ihre Spezialität: Je boulevardesker die gesendete
Belanglosigkeit, desto besser. Ihre TV-Kritik über die Influencer hat sie in
acht unangenehme Momente eingeteilt, einer davon behandelt Enissa Amanis Performance
(“sehr lang, extrem sonderbar”). Einem größeren Fernsehpublikum ist die
Künstlerin Amani durch ihre Auftritte
bei RebellComedy bekannt. Deren Erfinder, eine Handvoll Jungs mit Eltern von
Nordafrika bis Afghanistan, schafften es, die besseren Witze über sich und ihre
Herkunft zu reißen. Das ist nämlich eine große Kunst, dass man ein Publikum
über sich selbst zum Lachen bringt, und dabei eigentlich über den
stumpfsinnigen Rassisten lacht, der sogar für eine Stereotypisierung zu blöd
ist, weil ihm der Zugang zu den kulturellen Codes fehlt.

“Ich nutze meine Stimme für die Elefanten”

Und damit sind wir auch schon im Thema der Selbst- und
Fremdbeschreibung, beim Selbstmarketing, bei der Ausstaffierung des eigenen
Lebens, das dazu dient, noch mehr Reichweite zu generieren und der damit
verbundenen Frage, wie weit man zu gehen bereit ist. “Geiles Lebensalbum”, sagte
jemand während der Show, ohne zu ahnen, wie sehr das passt.

Da war zum Beispiel
das Model Doutzen Kroes mit der Botschaft: “Wir können unsere Plattform nutzen
und unsere Stimme.” Es ging gerade um die Kategorie “Empowerment” und Greta Thunberg, und Kroes sagte: “Ich nutze meine Stimme für die Elefanten.” Sie
kämpfe für deren bessere Zukunft mit einer selbst gegründeten Initiative. Bei
der Recherche stößt man auf den Schmuckhersteller Tiffany, der gemeinsam mit
dem Model eine Kollektion mit süßen Elefanten als Brosche und Ketten herausgibt,
jedes piece um die 200 Dollar. Die
Influencer-Branche hat den Kapitalismus so gut inhaliert, dass es ihnen möglich
ist, sich in eine Reihe mit Greta Thunberg zu stellen und dabei gut zu fühlen.
Thunberg ist Aktivistin und nicht Influencerin. Sie ist nämlich nicht käuflich.

Äthiopien, Ägypten, ständig wurde bei der Show irgendein
Influencer gezeigt, wie er wieder für ein total wichtiges Projekt nach Afrika
reiste. Es drängt sich die Vermutung auf, dass nicht so sehr die afrikanischen Tierschützer
und afrikanischen Menschenrechtler die Influencer und Musiker aus Europa
benötigen, sondern umgekehrt.

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