/Elbtunnel: “Es gab mal das Stichwort Zuschütten”

Elbtunnel: “Es gab mal das Stichwort Zuschütten”

Die Menschen, die an diesem Tag von St. Pauli aus durch die Weströhre des Alten Elbtunnels nach Steinwerder gehen, sind neugierig. Viele von ihnen halten ihre Handykameras über den Baustellenzaun, um ein Bild der frisch renovierten Oströhre zu machen. Der Unterschied zwischen Alt und Neu sticht auf den ersten Blick ins Auge. Hartmut Gräf war als Projektleiter der Sanierung zehn Jahre lang fast täglich hier unten. Am Freitag wird die Oströhre neu eröffnet, Gräf geht danach bald in Rente. Ob er den Tunnel vermissen wird, weiß er noch nicht.

ZEIT ONLINE: Herr Gräf, Sie haben jetzt zehn Jahre
lang die Oströhre des Alten Elbtunnels saniert. Wo fängt man da überhaupt an?

Hartmut Gräf:
Die Frage, die die Tagesordnung bestimmt hat, war: Wie verrostet ist das
Stahlgerüst hinter den Fliesen? Wir wussten nicht, ob das Gerüst hält, wenn wir
hier mit schweren Geräten den Beton davor ausfräsen. Da drüber ist ja ein
enormer Wasserdruck, wenn man da mit der Fräse rangeht, macht’s auf einmal
blubb, und das Wasser kommt reingeströmt.

ZEIT ONLINE: Sie formulieren das so harmlos,
“reinströmen” – das klingt, als hätte man dann nur ein bisschen feudeln müssen.

Gräf: Nein, das
wäre natürlich eine Katastrophe gewesen. Deshalb haben wir vorher den Tunnel
mit einem Georadar abgefahren. Auf den Auswertungen sehen Sie dann viele Kurven.
Die können nur Physiker interpretieren, und selbst die konnten nur sagen: “Hier
gibt es eine Unregelmäßigkeit, da ist irgendwas. Aber wir wissen nicht, was.”
Wir hatten also mehrere Dutzend Verdachtsstellen, an die sind wir in Handarbeit
rangegangen und haben ganz vorsichtig den Beton abgeklopft.

ZEIT ONLINE: Damit Sie die schon einmal aus dem Weg
haben?

Gräf: Ja. Parallel dazu
haben wir auch Berechnungen durchgeführt. Wenn das Loch eine bestimmte Größe
hätte, und obendrüber ist die Elbe, wie viel Wasser würde hereinströmen? Das
war schon eine total spannende Frage.

Elbtunnel: Hartmut Gräf ist Bauingenieur und hat als Projektleiter die Sanierung der Oströhre des Alten Elbtunnels betreut.

Hartmut Gräf ist Bauingenieur und hat als Projektleiter die Sanierung der Oströhre des Alten Elbtunnels betreut.
© Sigrid Neudecker

ZEIT ONLINE: Spannend? Sie drücken das sehr positiv
aus.

Gräf: Ich kann mich
noch gut erinnern, wie das damals war. Wenn der Maurer an einer Stelle zu
klopfen anfing, standen ganz viele Leute hinter ihm, die aber immer in beide
Richtungen geguckt und überlegt haben: Wohin kann ich notfalls laufen? Aber
alle Verdachtsstellen waren unbegründet, oft war der Beton einfach nur inhomogen.

ZEIT ONLINE: Ihre Kollegen haben vor hundert Jahren
also ganz gut gebaut?

Gräf: Die haben super
gebaut, es war so gut wie keine Abrostung vorhanden. Bei allem Ärger über die
Kostensteigerungen, die danach kamen, konnten wir immerhin sagen: Das kostet
zwar Geld, aber es lohnt sich. Der Tunnel wird wieder für hundert Jahre fit sein.

ZEIT ONLINE: Was wurde nun alles gemacht? Er sieht aus
wie neu.

Gräf: Wir haben mit
einer großen, diamantbesetzten Fräse alles herausgebrochen, dann wurde der
Beton vorsichtig herausgefräst. Das letzte Stück bis zum Stahlgerüst musste in
Handarbeit gemacht werden, weil wir ja nicht riskieren durften, dass das
Stahlgerippe beschädigt wird.

ZEIT ONLINE: Die gesamte Tunnelwand wurde per Hand
abgeklopft? Wie viel Fläche ist das?

Gräf: Oh Gott. Der
Tunnel ist 426 Meter lang, der Durchmesser ist sechs Meter, den Rest kann man
ausrechnen.

ZEIT ONLINE: Die Fliesen, die man hier sieht, sind
also alle neu?

Gräf: Die sind alle
neu.

ZEIT ONLINE: Sehen aber gar nicht so neu aus.

Gräf: Das war genau
das Ziel! Man soll hier reinkommen und sagen: Das scheint alles aus einem anderen Jahrhundert zu sein. Es
sollte nicht steril und glatt aussehen, sondern nach Handwerksarbeit.

ZEIT ONLINE: Sie haben absichtlich ganz leicht
unregelmäßig verlegen lassen? Das drehen Sie doch jetzt im Nachhinein so!

Gräf: Gucken Sie
einmal auf diese Wand, das sieht doch aus wie eine einheitliche Farbe, richtig?
Sind aber insgesamt sieben verschiedene Farbtöne, um eben zu vermeiden, dass es
industriell aussieht. Das war auch ein Riesenjob, diese Fliesen zu finden. Die
bekommt man nicht an jeder Ecke. Ein großes Werk in Boizenburg hat die in einem
langen Prozess entwickelt.

ZEIT ONLINE: Den Alten Elbtunnel machen vor allem
die Keramiken mit den Tieren aus. Konnten Sie einige der Originale retten?

Gräf: Die
Tunneltiere, die noch intakt waren, haben wir vorsichtig ausgebaut. Das war
natürlich auch ein Riesenakt nach hundert Jahren. Die wurden restauriert, alle
anderen neu hergestellt. Und ich finde es phänomenal, wie gut die geworden sind.
Ich muss immer ganz genau überlegen, welches die neuen und welches die restaurierten
sind.

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